29. April 2008

How I Met Your Mother - Season One

Come on, if you don’t laugh it just seems mean.

Der perfekte Freundeskreis besteht meist aus vier Leuten, so zu bewundern in den Sitcoms Seinfeld oder Scrubs. Der ultimative Freundeskreis bestand aus sechs Personen, drei Männer und drei Frauen: David Cranes Friends. Am 22. September 1994 begann ein neues Serienphänomen, welches einige Jahre später allen Darstellern ein Episodengehalt von einer Million Dollar bescheren sollte. Nach zehn konstant guten Staffeln verabschiedete sich die Serie am 6. Mai 2004, gut zehn Jahre nach ihrem Start. Am 19. September 2005, elf Jahre nach dem Beginn von Friends, feierte eine Serie ihre Premiere, die sich um fünf Freunde in New York dreht, die mit Beziehungsproblemen zu kämpfen haben: How I Met Your Mother von Craig Thomas und Carter Bays.

Die Serie läuft in den USA inzwischen in ihrer dritten Staffel und sorgt aktuell deswegen für Gesprächsstoff, weil Britney Spears einen Gastauftritt feiern wird. Jener Gastauftritt der umstrittenen Sängerin sorgte wiederum dafür, dass Alicia Silverstone, die in derselben Episode auftreten sollte, ihr Engagement zurückzog und von Sarah Chalke ersetzt wurde. Der große Unterschied zu Friends ist, dass How I Met Your Mother (kurz: HIMYM) einen der Freunde als Erzähler hat, der als Zentrum der Handlung fungiert. Hier gibt es keine sechs Freunden, von denen keiner mehr Aufmerksamkeit erhält als der andere, stattdessen ist Architekt Ted Mosby (Josh Radnor) der Mittelpunkt der Serie, nicht nur weil, sein alter Ego jede Folge narrativ 25 Jahre in der Zukunft für seine Kinder einleitet.

Die Prämisse der Serie ist in ihrem Titel enthalten. Der zukünftige Ted, der aus dem Off von Bob Saget gesprochen wird, erzählt seinen beiden Kindern, wie er ihre Mutter kennen lernte (engl. How I met your mother). Allerdings schweift die Show bereits nach den ersten Folgen ab und es geht fortan weniger darum, wie Ted seine spätere Frau kennenlernte, sondern um seinen Single-Status, sowie das Beziehungsleben seiner vier Freunde. Denn der Gegenwart-Ted lebt im New York City des Jahres 2005 in einer Wohngemeinschaft mit seinem besten Freund Marshall (Jason Segel) und dessen Freundin Lily (Alyson Hannigan), die sich allesamt auf dem College begegnet sind. Mit ihrer neunjährigen Beziehung und aktuellen Verlobung stellen Marshall und Lily den Fels in der Brandung dar.

Ted hingegen hat mit den Frauen weniger Glück und ist der abendlichen Bar-Touren mit seinem Kumpel Barney (Neil Patrick Harris) überdrüssig. Barney selbst ist quasi eine fleischgewordene Mischung aus den beiden Friends-Charakteren von Chandler und Joey: der Sarkasmus des Ersteren gepaart sich mit der Geilheit des Letzteren. Ohne Frage ist die Figur des Barney Stinson das Highlight von HIMYM. Sein Witz, sein Charme, sein ganzes Verhalten sorgt für die meisten Lacher und lässt sich im Grunde in vier Worte zusammenfassen, die da lauten: “Awesome“, “Legendary“ und - meinen persönlichen Favoriten - “Suit up“. Ein herrliches Spin-Off wäre mal eine Serie, die sich allein um Joey Tribiani, Barney Stinson und Scrubs’ Todd dreht - drei unwahrscheinlich rallige, aber herzliche Typen.

In diese Vierergruppe stößt zu Beginn der Serie die TV-Moderatorin Robin Scherbatzky (Cobie Smulders), in die sich Ted verliebt und beim ersten Date mit einem Liebesgeständnis herausplatzt. Fortan sind scheinbar alle romantischen Ambitionen ad acta gelegt, doch Robin wird platonisch in die Clique installiert. Diese Beziehungsschwebe macht in etwa zwei Drittel der ersten Staffel aus, gerät dann aber im Mittelteil auf die Ersatzbank, als Ted die Konditorin Victoria (Ashley Williams) trifft. Auch die Beziehung zwischen Lily und Marshall ist weitaus weniger gefestigt, als man zu Beginn von How I Met Your Mother den Eindruck hat. Serien-Star Barney wiederum hat keinerlei Interesse an einer festen Bindung, dessen Ursache die spätere Flashback-Folge Game Night genauer beleuchten wird.

Dadurch, dass sich How I Met Your Mother auf eine Figur konzentriert, geht sie ein sehr viel größeres Risiko ein, als es seinerzeit bei Friends der Fall war. Doch glücklicherweise ist Ted, obschon bisweilen sehr anstrengend, grundsätzlich ein liebenswürdiger Charakter, der nun mit 28 in ein Alter gekommen ist, wo er sich nach familiärer Geborgenheit sehnt, sprich einer Frau und Kindern. Dabei ist er allerdings weiterhin selbst noch ein Kind im Körper eines Mannes. Worin sich die Serie noch von ihrem Vorbild unterscheidet, ist die Tatsache, dass man bis auf Robin - und mit Abstrichen auch im Ansatz noch Marshall - wenig bis gar nichts über das berufliche Leben der Figuren erfährt. Erst in der zweiten Staffel wird man einen Blick in das Arbeitsleben von Barney, Ted und Lily erhalten.

Josh Radnor gibt dabei eine überzeugende Vorstellung als Ted und ist, obwohl Hauptdarsteller der Serie, derjenige mit der geringsten Erfahrung. Zuvor als Gaststar in Serien wie ER und Six Feet Under aufgetreten, hat auch die ebenso überzeugende Kanadierin Cobie Smulders bereits Serien-Erfahrung durch Shows wie The L Word. Jason Segel wiederum ist ein Protege von Judd Apatow, der in dessen Serie Freaks and Geeks mitgewirkt hat und nunmehr in der von Apatow produzierten Komödie Forgetting Sarah Marshall zu sehen sein wird. Alyson Hannigan ist dagegen aus der Schule von Joss Whedon durch dessen Kult-Serie Buffy hervorgegangen und hat einschlägige Kino-Erfahrung durch Nonsens-Komödien wie die American Pie-Filme oder Date Movie gesammelt.

Höhepunkt Neil Patrick Harris wurde dagegen im zarten Alter von 16 Jahren durch die Serie Doogie Howser M.D. bekannt. Inzwischen lebt Harris von HIMYM und die Serie von ihm beziehungsweise seiner Figur (zu Recht erhielt er für seine Darstellung eine Emmy-Nominierung). Zwar kein Ersatz für die Brillanz von Friends, ist How I Met Your Mother dennoch gelungene Unterhaltung, die von ihren Charakteren lebt und sich meist auf einem konstant guten Level bewegt. Flacht die Staffel gerade am Ende stark hab, findet sich ihre gelungenste Folge in Sweet Taste of Liberty, die viele Stärken der Sitcom überzeugend vereint. Der perfekte Freundeskreis besteht eben aus vier, der ultimative aus sechs Freunden. Vielleicht haben Thomas und Bays einfach einen Freund zuviel eingeladen.

7/10

27. April 2008

On Her Majesty’s Secret Service

We have all the time in the world.

Nach fünf Abenteuern war es schließlich soweit. Mit 37 Jahren hängte der Schotte Sean Connery seine Lizenz zum Töten an den Nagel und verabschiedete sich mit You Only Live Twice von seiner ihn für immer formenden Figur des James Bond. Er würde jedoch noch zwei Mal zurückkehren, das erste Mal in dem kanonischen Diamons Are Forever und schließlich noch ein letztes Mal in Never Say Never Again, dem Bond-Abenteuer außerhalb der Bond-Reihe. Doch was war Ende der Siebziger passiert, dass Connery zurückgeholt wurde? Man war unzufrieden mit dem neuen Darsteller der Figur, dem Australier George Lazenby. Oder Lazenby war unzufrieden mit dem Franchise, so genau ist das bis heute nicht geklärt und wahrscheinlich schreibt sich jeder selbst das zu, was ihm am wenigsten Scham beschert. Viele bezeichneten den Film als Flop an den Kinokassen, andere jedoch schreiben ihm zu, dass er über das Zehnfache seiner Kosten eingespielt habe (87 Millionen Dollar Einspiel bei 7 Millionen Dollar Kosten) und der zweitertragreichste Film des Kinojahres 1969 gewesen sei.

Die Fakten sprechen jedoch gegen den Film, nur From Russia With Love, das zweite Abenteuer der Reihe, spielte bis dato weniger Geld ein als On Her Majesty’s Secret Service (zuzuschreiben sicherlich zu einem Teil dem unbekannten Gesicht von Lazenby). Doch die Produzenten durften sich den Misserfolg auch selbst zuschreiben, wurde schließlich auf dem Plakat zum Film erstmals der Name des Darstellers unter den Titel gesetzt und bisweilen sogar vermieden Lazenbys Gesicht zu zeigen. Eine Verlegenheitslösung scheint er gewesen zu sein, bemühte man sich schließlich bereits damals um die beiden späteren Bonds Roger Moore und Timothy Dalton. Während Moore noch vertraglich an seine Serie The Saint gebunden war, fühlte sich Dalton 1969 mit 25 Jahren schlicht und ergreifend zu jung, um den britischen Agenten zu spielen. Als er die Rolle in The Living Daylights 1987 letztlich anging, war er bereits 42 Jahre alt, der zweitälteste Bond nach Moore.

Flemings Romanversion von OHMSS markiert den elften Band in seiner vierzehnbändigen Serie und wurde abgefasst während der Dreharbeiten zu Dr. No. Ursprünglich sollte der Band dann auch das zweite Abenteuer von Bond darstellen, doch da US-Präsident Kennedy From Russia With Love so gut gefiel, entschied man sich stattdessen den fünften Roman vorzuziehen. Danach sollte das Werk als viertes Bond-Abenteuer herhalten, aus zeitlichen Gründen wurde es dann auf die fünfte Verfilmung verschoben, am Ende entstand die Verfilmung überhaupt nicht mehr unter der Ära Connery. Dabei hat OHMSS zwei interessante Konstellationen, im Grunde eigentlich sogar mehr als zwei. Am ungewöhnlichsten ist sicherlich die Tatsache, dass Bond nach dem Finale heiratet. Die gesamte Inthronisierung der Liebesgeschichte zwischen Bond und der Contessa Teresa di Vicenzo ist ungewöhnlich, bildet der Suizidversuch der Contessa die Eröffnungsszene des Filmes und endet schließlich in dem einzigen Durchbrechen der vierten Wand einer Bond-Figur im Kanon.

Nachdem Bond der Contessa das Leben gerettet hat, flieht diese mit ihrem Wagen vor ihm, was Lazenby zu der sarkastischen Aussage bewegt: „This never happened to the other fellow“. Auch anschließend ist die Beziehung zwischen den beiden mehr als bockig und wird nur noch von der Tatsache überboten, dass Teresas Vater, Syndikatsboss Marc-Ange Draco, Bond bietet seine Tochter zu ehelichen. Dies kulminiert in einem äußerst harmonischen Zusammenschnitt eines turtelnden Bonds, untermalt von Louis Armstrongs Bond-Lied We Have All the Time in the World, welches nicht in den Eröffnungscredits gespielt wird, sondern erstmalig in diesen romantischen Szenen. Gleichzeitig markiert Armstrongs Bond-Lied das letzte Stück, welches dieser vor seinem Tod in einem Studio aufgezeichnet hat. Doch die traute Zweisamkeit wird plötzlich unterbrochen und Bonds wahre Mission geht in ihre erste Beginnungsphase.

Der Bösewicht des Filmes ist Ernst Stavro Blofeld, mit dem Bond bereits in unbewusst in From Russia With Love und Thunderball zu tun hatte, ihm allerdings erst in You Only Live Twice wahrhaft gegenübersteht. Da letzterer auf dem gleichnamigen Roman basierte, der nach OHMSS erschien, verwundert es einen zuerst, dass sich Bond und Blofeld hier gegenüberstehen, einander jedoch nicht erkennen. Man wechselte mit Telly Savalas den Darsteller, wurde Blofeld noch im Vorgänger von Donald Pleasance dargestellt. Savalas würde vier Jahre später seinen Ruhm mit der Fernsehserie Kojak zementieren und in dieser Rolle unsterblich werden. Wie es sich für Bond-Filme gehört, sind sie aber nicht frei von dem gängigsten Klischee: Bond in Gefangenschaft seines Gegners, der sich nicht die Mühe macht ihn gleich zu töten. Savalas verzichtet zwar darauf, seinem Gegenspieler ein möglichst spektakuläres Ende zu setzen, wie beispielsweise ein Yaphet Kotto, die Einsperrung im Maschinenraum ist dabei auch nicht besser. Doch es gehört zur Serie, damit hat man sich inzwischen abgefunden, dass Bond sein Leben durch die Dummheit seiner Gegner geschenkt wird.

Dafür zeichnet sich OHMSS an anderen Stellen aus. Der Lazenby-Bond besticht durch das vollständige Verzichten dümmlicher Gadget, die ihren lächerlichen Höhepunkt in Die Another Day erreichen werden. Keine Raketen im Auto, keine Laser oder Seile in der Rolex versteckt. Vielmehr kämpft Lazenby mit bloßen Fäusten und ist sehr oft mehr Gejagter als Jäger. Dieser Bond ist nicht unbesiegbar, dieser Bond kommt auch mal ins Straucheln. Bester Beweis hierfür die erste Unterbrechung der bondschen Fluchtsequenz, wenn Lazenby während einer nächtlichen Ski-Abfahrt nicht nur einmal, sondern gleich zweimal stolpert und stürzt. So menschlich wird man Bond in späteren Filmen nicht mehr begegnen, die gesamte Fluchtsequenz - die immer spektakuläre fünfzehn Minuten dauert - wird dabei recht schnörkellos erzählt, ohne einfallsreiche Ausweichmanöver. Wenn Bond in einer Jahrmarktsmasse unterzutauchen versucht, merkt man ihm die Panik an, als er mit einem Passanten unterwartet zusammenstößt und bereit ist zu sterben.

Am brillantesten ist jedoch das Ende geraten, von einer Eindringlichkeit, wie sie bis dato kein Bond-Film erreicht hat, völlig frei von jeglicher Weichspülerei der folgenden Bonds. Teresa Bond wird wenige Minuten nach ihrer Hochzeit erschossen, Attentäterin ist Fräulein Bunt, die aus einem fahrenden und von Blofeld gesteuerten Wagen das Feuer auf Bonds Auto eröffnet. Auch die Tatsache, dass beide Bösewichte ungeschoren davon kommen, ist eine Seltenheit bei Bond-Filmen. Später wird auf dieses Ereignis auch nur noch fünfmal verwiesen, hierbei lediglich dreimal direkt, am intensivsten in For Your Eyes Only, in welchem Bond das Grab seiner Frau besucht. Gerade diese Szene würde auch erklären, weshalb Bonds Beziehungen zu Frauen durch ihn zum Scheitern verurteilt werden, selbst wenn er dieses Verhalten bereits vorher an den Tag legt. Äußerst schade ist es, dass Lazenby keinen zweiten Auftritt erhielt, wäre eine Fortsetzung mit ihm wahrscheinlich eine Anknüpfung an dieses Ereignis gewesen. In Licence to Kill wird man begutachten dürfen, was er mit denjenigen anstellt, die seinen Freunden Leid zufügen, auch wenn dies der 80er-Action-Ära zuzuschreiben ist.

Besonders stark die letzte Einstellung von Lazenby, dessen Version mit Tränen von Regisseur Peter Hunt verworfen wurde. Insgesamt ist OHMSS eine äußerst getreue Adaption der Romanvorlage von Fleming, mit bis zu achtzig Prozent identischem Material. Bis zum Erscheinen von Casino Royale bildete Hunts Film auch den längsten im Bond-Kanon, mit 136 Minuten Laufzeit dabei nur vier Minuten kürzer als Martin Campbells zweite Involvierung. Zudem ist OHMSS maßgebend für folgende Bond-Abenteuer geworden, präsentierte er die erste Rückblende in der Serie und schnallte Bond auf Skier. Die bereits angesprochene Ski-Flucht-Szene beeindruckt dabei durch ihre Dauer von beinahe fünfzehn Minuten - von einer Liebesnacht in der Scheune unterbrochen - und findet Referenz in den Bond-Filmen The Living Daylights und The World Is Not Enough. Auch das Ende, in welchem sich Bond über seine Befehle des MI6 hinwegsetzt und einen Angriff im Team auf Blofeld beginnt, erhält in For Your Eyes Only ein filmisches Echo.

Doch es fehlen nicht die Bond-typischen Elemente, kenntlich in der Szene wenn sich Bond als Genealoge Sir Hilary Bray ausgibt und in einem sprichwörtlichen Harem landet. Lazenby meistert alle diese Szenen spielend, tut sich lediglich damit schwer, die bondschen Einzeiler mit der gewohnten Ironie rüberbringen, welche Roger Moore wenige Jahre später perfektionieren wird. Dies spricht für Lazenbys Ansicht über die Figur, die dazu führte, dass er sie für zu rudimentär hielt, als das sie in den liberalen Siebzigern in Zeiten von Easy Rider funktionieren könne. Es sei somit seine eigene Entscheidung gewesen, nicht in die Rolle von Bond zurück zu kehren. Eine andere These besagt, dass Produzent Albert R. Broccoli mit der jugendhaften Arroganz von Lazenby nicht zu recht kam, die unter anderem dazu führte, dass Lazenby sich bei einem Stunt, den er selbst vornehmen wollte, den Arm brach.

Eine dritte Vermutung bezieht sich auf die Unzufriedenheit der Kritiker mit Lazenby, der den Erwartungen nach Connery nicht gerecht werden wollte. Die Wahrheit ist wahrscheinlich eine Mischung aus allem. Schade ist es allerdings doch, präsentiert Lazenby die beste Improvisation der Figur James Bond nach Sean Connery, übertrifft bei weitem jedoch den clownesken Roger Moore. On Her Majesty’s Secret Service selbst ist sicherlich der gelungenste Bond-Film, fernab von einer idiotischen Handlung eines Moonraker oder Die Another Day, ohne dümmliche technische Spielsachen wie in The Spy Who Loved Me. Stattdessen ein Portrait gelungener Verfolgungsjagden und eines verliebten Bond, der nicht frei von Fehlern ist und öfters auf Unterstützung zurückgreifen muss. Dabei vernachlässigt der Film keineswegs den humoristischen Aspekt und ist zugleich namhaft mit Diana Rigg von The Avengers besetzt. Alles in allem wurde in OHMSS richtig gemacht, was eben richtig gemacht werden konnte, was ihn zum komplettesten und gelungensten Bond-Film macht.

8.5/10

25. April 2008

Vorlage vs. Film: The Beach

The Beach (1996)

Für Schriftsteller kann der erste Roman eine hohe Bürde sein. In manchen Fällen braucht es mehrere Veröffentlichungen, ehe man sich einen Namen gemacht hat, in anderen Fällen wird gleich der erste Roman zum Bestseller. Oftmals kommt anschließend nicht mehr viel nach, man ist ein so genanntes Wunderkind, wie es Curtis Hanson in seinen The Wonder Boys ironisch skizzierte. Vor etwas mehr als zehn Jahren erschien mit The Beach ein Roman von einem 26-jährigen Engländer namens Alex Garland. Von Kritikern als eine Mischung aus Heart of Darkness und The Lord of the Flies beschrieben, beides jedoch nicht wirklich treffend, bescherte es dem Autor unerwarteten Ruhm. Seinem ersten Erfolg folgte The Tesseract (1998), eine Episodengeschichte, die nicht wirklich an die Stärke von The Beach anknüpfen konnte. War Garland also lediglich ein solches Wunderkind?

Viele Jahre schrieb er nichts, erst 2003 brachte er in Zusammenarbeit mit dem schottischen Regisseur Danny Boyle, der auch seinen The Beach inszenierte, den Zombie-Thriller 28 Days Later hervor. Beide wurden für ihre Arbeit an dem Werk gelobt, das eine neue Welle von LSD-ähnlichen Zombies erschuf, geifernd und reaktionsschnell. Ein Jahr später erschien sein dritter Roman, The Coma (2004), dabei eher eine Novelle denn ein Roman. Erzählt wird eine interessante Mindfuck-Geschichte ohne rechte Auflösung, sehr kurzlebig und nicht im Stande, an den Erfolg von The Beach anzuknüpfen. Schließlich führte es Garland wieder mit Boyle zusammen, er verfasste das Drehbuch für seinen Sci-Fi-Thriller Sunshine aus dem vergangenen Jahr. Zudem schrieb er den ersten Entwurf für die von Peter Jackson geplante Verfilmung der Halo-Serie, doch das Projekt liegt momentan auf Eis.

“It’s paradise”, Sammy murmured. “It’s Eden.”
“Eden”, Zeph agreed, “is how it sounds.” (p. 58)


Der Londoner Richard ist Anfang 20 und ein Backpacker – ein Rucksacktourist. Sein beliebtestes Reiseziel sind die Philippinen, doch jetzt besucht er zum ersten Mal Thailand. Anlaufstation ist die berühmte Khao San Road. Ein stummer Hippie empfiehlt ihm eine Jugendherberge, Sammelplatz für all die Westler, die ihrer Umgebung entkommen wollen und sich quasi in Asien ein Abbild davon erschaffen. Im Zimmer neben Richard hört er es eines Nachts rumoren und lernt einen schrägen Schotten kennen. Beide führen eine belanglose Unterhaltung und rauchen gemeinsam einen Joint, ehe sie zu Bett gehen. Am nächsten Tag jedoch findet Richard an seiner Tür eine handgezeichnete Karte und im Zimmer des Schotten eine Suizidleiche. Auf der Karte sind mehrere Inseln rund um den Ort Ko Samui eingezeichnet und mit einem X eine Lagune in einem der Nationalparks markiert.

Beim Polizeiverhör trifft Richard auf Étienne, einen 20-jährigen Franzosen, der mit seiner Freundin in derselben Herberge wohnt. Aus einem Impuls heraus beginnt Richard ein Gespräch und erzählt Étienne von der Karte. “I want to do something different, and everybody wants to do something different. But we all do the same thing”, erklärt Étienne und spricht Richard aus dem Herzen. Mit Étiennes Freundin Françoise planen sie also ihren Trip nach Ko Samui, von wo aus sie mit einem Fischerboot in das Innere des Nationalparks vordringen wollen, in der Hoffnung den ominösen Strand zu finden. Auf Ko Samui treffen sie auf zwei Amerikaner, Zeph und Sammy, die ihnen eine moderne Sage eines geheimnisvollen Strandes erzählen. Während die Franzosen nervös aufbrechen wollen, hinterlässt Richard den beiden eine Kopie der Karte – zur Sicherheit, sollten sie nicht mehr zurückkehren.

“It doesn’t matter why I found it so easy to assimilate myself into the beach life. The question is why the beach life found it so easy to assimilate me.”
(p. 116)


Auf der Insel stoßen sie zuerst auf ein riesiges Marihuana-Feld, können den Wachen jedoch entfliehen. Richard wird gezwungen, das Kommando zu übernehmen und spürt zum ersten Mal den Adrenalinkitzel, welchen die Insel für ihn bereit hält. Es gelingt ihnen schließlich am Ende des Tages in eine kleine Lagune vorzudringen, wo sie von einem der Strandbewohner, Jed, begrüßt werden. Sie werden vor die Leiterin der Strandgemeinschaft, Sal, gebracht, die sie schließlich willkommen heißt, als sich herausstellt, dass Richard, Étienne und Françoise die Karte von Gründungsmitglied Daffy erhalten haben. Von seiner angefertigten Kopie erzählt Richard niemandem etwas. Es gelingt den Neuankömmlingen sich schnell in das Strandleben einzugliedern, welches Menschen aus verschiedenen Nationen beherbergt. Eingeteilt in vier Lager übernimmt jeder seinen Teil, um die Gemeinschaft am Leben zu erhalten. Jeder fühlt sich, als wäre er im Paradies angelangt.

Erste Probleme treten auf, als Richard mit Jed bei einer Reistour in Ko Pha-Ngan auf Zeph und Sammy stößt, die mit einer Gruppe Deutscher die Expedition zum Strand planen. Richard wird schließlich von Sal zu Jed abbestellt, beide fungieren als Wachpersonal und beobachten die designierten neuen Ankömmlinge. Seine Abkehr vom Strand fällt Richard dabei zur eigenen Überraschung erstaunlich leicht, im Dickicht des Dschungels spielt er mit Jed den Vietnamkrieg nach. Besser und zugleich schlechter wird die Situation erst, als nach einer Lebensmittelvergiftung am Strand ein Hai die drei schwedischen Fischer angreift. Einer stirbt, der andere liegt die nächsten Wochen im Sterben und der dritte verliert scheinbar den Verstand. Die Stimmung ist gedrückt, Jed muss sich um den verletzten Christo kümmern und Richard hat das Dickicht ganz für sich alleine. Schließlich kehrt auch Daffy zurück und eröffnet ihm seinen Plan.

“But mainly, I chose you because you were a traveller. Any traveller would have done the job. Spreading the news is in our nature.”
(p. 378)


Garlands Werk wird oft mit William Goldings Lord of the Flies verglichen, dabei hat es abgesehen von dem Setting an einem tropischen Strand und der Abkapselung von der Gesellschaft nicht viel mit ihm gemeinsam. Es handelt sich nicht um eine Gruppe Überlebender, die versuchen eine Hierarchie aufzubauen, sondern um eine Gruppe Reisender, auf der Suche nach dem letzten nicht von Touristen verseuchten Stück Strand. Eine Hierarchie ist bereits vorhanden und von Garland als gelungenes Spiegelbild unserer heutigen Welt aufgebaut. Der Strand ist bevölkert von Italienern, Israelis, Jugoslawen, Schweden, Franzosen, Australiern und Engländern – doch scheinbar nur von einer amerikanischen Person: Sal. Die wiederum ist diejenige, die keiner Arbeit am Strand nachgeht. Stattdessen kontrolliert sie die anderen, fungiert als ihre Führerin und spricht notfalls Befehle aus.

Quasi eine kleine US-Hegemonie an einem kleinen thailändischen Strand. Eine verschlossene Gesellschaft, so ist die Idee. Doch aus den ursprünglich drei Gründern wurden schnell mehr. Jeder erzählt es jemand anderem und so weiter. Eine zentrale Rolle nimmt hierbei Jed ein, der als erster uneingeladen am Strand erschien. Sein Auftreten stellt den Anfang des Endes dar, der schließlich von Daffy dadurch inszeniert wird, dass er Richard die Karte gibt. Was Garland anschließend erschafft, ist ein ausgeklügelter und sehr real wirkender Thriller, der von seinen Figuren lebt und deren Persönlichkeitsprofil. Treibende Kraft ist hierbei Richard, der als Erzähler fungiert und ein Kind im Körper eines Mannes darstellt. The Beach ist Garlands Meisterwerk, kein Lord of the Flies der Generation X, wie es Nick Hornby bezeichnete. Es ist ein Stück menschlicher Charakter in Papierform.


The Beach

I was waiting for it to hit me.

Eigentlich gab es keine besseren Voraussetzungen für The Beach, als vom Schotten Danny Boyle (Trainspotting) inszeniert zu werden, der hiermit den Sprung nach Hollywood versuchte. The Beach stellt seinen vierten Film dar und die vierte Zusammenarbeit mit Autor John Hodge. Danach sollte er eine Kooperation mit Alex Garland beginnen, dem Autor der Romanvorlage, der hier aber nicht involviert war. Die meiste Aufmerksamkeit erregte jedoch die Maßnahme von 20th Century Fox, einen thailändischen Strand mit zusätzlichen Palmen zu versehen und Sand abzutragen. Umweltschützer wollten die Dreharbeiten boykottieren, der Prozess um die ganze Schose wurde erst vor wenigen Jahren beendet. Mit 50 Millionen Dollar Produktionskosten wurde The Beach von Kritikern zum Flop proklamiert, weltweit spielte er dabei das Dreifache seiner Kosten ein, hält aber heute noch bei Rotten Tomatoes eine Bewertung von 19 Prozent. Boyle beendete als Folge die soeben erst begonnene Hollywood-Karriere, kehrte vorerst nach Großbritannien zurück und inszenierte hier zwei Jahre später 28 Days Later.

Der über 400 Seite starke Roman wurde für die Adaption erwartungsgemäß gekürzt, viele Dinge ausgelassen und komprimiert. Die einschneidenste Veränderung ist sicherlich die Amerikanisierung der Handlung, Richard wird vom Londoner zum New Yorker. Als Folge musste der vorgesehene Ewan McGregor somit dem aufstrebenden Leonardo DCaprio weichen.  Dafür mutiert Sal (Tilda Swinton) wiederum zur Britin, womit natürlich Garlands subtile Anspielung auf Amerikas Hegemonialstreben flöten geht. Sehr viel gravierender ist da die Einführung von gleich zwei Romanzen für Richard. Nicht nur mit Françoise, die im Roman Étienne treu bleibt, sondern auch noch mit Sal. Außer zusätzliches Drama hat dies für die Handlung des Films natürlich absolut keinen Hintersinn – so sehr man als männlicher Zuschauer auch die entblößten Brüste von Virginie Ledoyens Brüste zu schätzen weiß.

Eine weitere gravierende, jedoch nicht weiter verwerflich Änderung ist die Auslassung von Jed. Der wird vielmehr auf drei andere Charaktere verteilt, verschwimmt mit Keaty, Sal und Étienne (Guilleume Canet). Derweil werden viele der anderen Figuren am Strand nicht näher beleuchtet: Cassie sieht man kurz, Unhygeniex dagegen etwas öfter und Keaty wird seltsamerweise zum bibeltreuen Cricket-Fan. Jesse, Jean, Ella, Moeshe und andere tauchen wiederum gar nicht auf. Im Gegensatz zur Vorlage greift dafür der Film die spannungsgeladene und paranoide Nebenhandlung rund um Richards „Geheimaufträge“ nicht auf, legt den Fokus dafür auf dessen Exil, nachdem Zeph und Sammy zur Insel stoßen. Beide werden im Film nicht näher beleuchtet, ihre Intelligenz verschleiert und die Beziehung zwischen Richard und ihnen nur oberflächlich behandelt. So wird nicht wirklich ersichtlich, wieso er zwei scheinbar Fremden eine Kopie der Karte hinterlässt.

Da Jed in der Reistour durch Sal ersetzt wird, ist sie es, die mitbekommt, dass Richard jemandem vom Strand erzählt hat. Das wiederum hat Konsequenzen für das Ende, das bei Hodge nicht wirklich Sinn macht, wie es ohnehin eine weichgespülte FSK-12-Abwandlung fürs Kinos darstellt. Den Machern scheint es wichtig gewesen zu sein, das Strandleben in seiner ganzen Blüte zu präsentieren, um danach sogleich den sozialen Verfall skizzieren zu können. Gerade die Situation mit den Schweden ist jedoch einschneidend für den Handlungsverlauf, besonders in Verbindung mit Jed, da beide gemeinsam der Auslöser für die eigentliche Geschichte sind. Dieser – rund um Daffys Handeln und dem Hintersinn der Strandgesellschaft – folgt der Film jedoch nicht. Subtrahiert von seiner philosophisch-psychologischen Facette präsentiert er sich vielmehr als Paradies-Thriller, rund um eine Gemeinschaft, die ein einzelnes Ereignis aus ihrem Frieden reißt.

Das Ende enttäuscht etwas, trifft es doch nicht den Ton sowohl der Vorlage als auch dem Aufbau des Films. Jedoch fällt dies alles nicht allzu sehr ins Gewicht, da die Stimmung, die Boyle rüberbringen will, überzeugt. Die Insel ist ebenso gut gewählt, wie der Strand mit der Lagune. Hier wird die Atmosphäre der Vorlage sehr gut getroffen, auch oder gerade besonders wenn Richard wieder nach Ko Pha-Ngan geworfen wird und den Kontrast erfährt. Zudem weiß das Casting zu gefallen, Paterson Joseph überzeugt als Keaty und Tilda Swinton als herrscherische Sal. Am gelungensten fiel das Casting jedoch bei Guilleume Canet als Étienne und Virginie Ledoyen als Françoise aus, enttäuschend ist dagegen Leonardo DiCaprio, der mit etlichen Grimassen an dem vorbeispielt, was Richard darstellt – overacting inklusive. Ein britischer Richard mit Ewan McGregor wäre sicher besser gewesen.

Zusammengehalten wird Boyles Film durch einen hervorragend gewählten Elektro-Pop-Soundtrack mit Songs von Moby bis Faithless, der in den einzelnen Liedern sehr gut die jeweilige Stimmung der Szenen einzufangen vermag und The Beach im Grunde zu dem machen, was er ist: ein Feel-Good-Thriller. Die Optik besticht durch helle Farben, die Mehrheit des Films spielt in der sandigen Landschaft der Lagune. Man sehnt sich praktisch selbst nach Thailand, die Musik trägt dazu selbstverständlich ihr übriges bei. Problematisch wird es nur, wenn der Film die Harmonie des Paradieses zu lange anbiedert, dann jedoch den Terror nicht effizient genug darstellt und zudem etwas unterschlägt. Die Stärke von Richards Erkenntnis, dass er selbst zum Spielball von Daffys destruktivem Verhalten geworden ist, fehlt auch, um dem Film letztlich die Wirkung seines Kult-Romans zu verpassen.

Die Grundstimmung von Garlands Geschichte gelingt Boyle dennoch einzufangen und dieser selbst scheint mit dem Ergebnis auch relativ zufrieden gewesen zu sein, wie die anschließende Kollaboration der beiden beweist. Hätte man den Roman als das verfilmt was er ist, hätte man sicher keinen Gewinn aus dem Projekt erzielen können. Einer nicht jugendfreien Abgabe wäre ein verstörtes Publikum gefolgt, es wäre zwar ein besserer und stimmigerer Film entstanden, welche Auswirkung das allerdings auf die Karriere von Boyle gehabt hätte, lässt sich nicht absehen. Denn die 50 Millionen Dollar an Budget hätte eine werkgetreue Verfilmung sicher nicht eingespielt, sodass man das endgültige Resultat verstehen kann. So schlecht, wie der Film allgemein gemacht wird, ist er aber nicht. Für sich funktioniert er relativ gut – trotz DiCaprio und der Liebesbeziehung(en).

7/10

22. April 2008

Iron Man

Let’s be honest, this isn’t the worst thing you’ve caught me doing.

Überraschen dürfte niemand, wenn er vom Interesse eines Nicolas Cage erfährt, ihn zu spielen: den Iron Man. Glücklicherweise wurde es dann aber weder Cage noch Tom Cruise, der sich ebenfalls für den Part begeistert hatte. Stattdessen besetzten die Produzenten relativ gegen den Strich und Robert Downey Jr. bekam den Zuschlag. Wie sich herausstellt, ist Downey Jr. ein riesiger Iron Man-Fan – wie eigentlich immer jeder Hauptdarsteller in einer Comicverfilmung ein riesiger Fan des betreffenden Comics ist. Da sehnt man sich so ehrliche Menschen wie Richard Harris zurück, der in den ersten beiden Harry Potter-Filmen den Professor Dumbledore gab, ohne je eine einzige Seite der Vorlage gelesen zu haben.

Und wenn es nach Downey Jr. geht, der für diesen Film mit 40 Jahren das Krafttraining anfing, kann es ruhig 15 Fortsetzungen geben. Man möchte hoffen, dass jemand in Hollywood Erbarmen mit den Zuschauern hat. Als Produzenten profilieren sich, wie bei Marvel-Verfilmungen üblich, die Gebrüder Arad. Für die Regie wurde am Ende weder Quentin Tarantino noch Joss Whedon oder Nick Cassavetes engagiert, sondern der eher unerfahrene Jon Favreau erhielt den Zuschlag. Eine Innovation markiert Iron Man am Ende dann doch, ist es schließlich der erste Spielfilm der Marvel Studios, die über zehn Projekte (darunter auch der kommende The Incredible Hulk) mehr Einfluss auf ihre Verfilmungen gewinnen wollen.

Iron Man ist quasi Marvels Batman: ein Superheld ohne Superkräfte. Beide sind schwerreiche Playboys, die in ihrer Freizeit inkognito das Verbrechen bekämpfen. Dabei finanzieren und entwickeln sie ihren hilfreichen Schnickschnack selbst, auch wenn Tony Stark gegenüber Bruce Wayne diesbezüglich die Nase vorn haben dürfte, dank seines fliegenden Stahlanzuges. Ein weiterer Hintersinn der Marvel Studios ist der Wunsch nach Authentizität gegenüber der Comicvorlage. Verwunderlich, da die Iron Man-Verfilmung nicht wirklich authentisch gegenüber dieser ist. Abgesehen von der Tatsache, dass Obadiah Stane (Jeff Bridges) einen Vollbart hat, wird sich nur an die Origin Story von Iron Man gehalten.

Er gerät in die Hände amerikanischer Feinde (aus Kommunisten werden Islamisten), und wird zum Waffenbau genötigt. Gemeinsam mit Professor Yinsen (Shaun Toub) entwickelt er stattdessen den Iron Man-Prototyp und entkommt. Auf seiner Flucht lernt er dann aber nicht Perry Rhodes (Terrence Howard) kennen, denn mit ihm ist er bereits seit Jahren dicke. Und Obadiah Stane versucht auch nicht, als Konkurrent Stark Industries zu übernehmen, sondern ist Tonys Ziehvater. Schon zu Beginn zeigt sich, dass es den Machern eher um vermehrte Einnahmen ging, denn um die authentische Erzählung ihres Stoffes. Stan Lee wird das wenig gestört haben, er erhält seinen üblichen Cameo in Marvel-Filmen seiner Werke.

Marvel-Helden zeichnen sich eigentlich dadurch aus, dass sie menschlich und nicht perfekt sind, außer Acht gelassen. Zumindest die ersten beiden Punkte treffen auch auf Tony Stark zu, einen Bilderbuch-Narzissten, der sich gern selbst inszeniert und wenig um seine Mitmenschen schert. Bis er seine Katharsis erlebt, das Leid der Menschen mit eigenen Augen sieht respektive nicht sieht und am eigenen Leib erfährt. ”The first and most important rule of gun-running is: Never get shot with your own merchandise”, hat Yuri Orlov dem Publikum in Andrew Niccols Lord of War eingetrichert, einem Film, der in jeder Sekunde gelungener die Kritik an der US-Waffenindustrie rüber brachte, als es Iron Man versucht.

Selbiges passiert jedenfalls Stark, was wiederum zu seiner Katharsis führt, die hier bereits nach fünf Minuten eintritt und den kommenden Filmverlauf einleitet. Was anschließend folgt, ist dann die Weiterentwicklung des Ganzen, Starks Rehabilitation und Innovation des Anzugs. Dafür verwendet Favreau gut eine Stunde, die gemächlich vor sich hin dümpelt, ohne irgendeinen rechten Unterhaltungswert zu besitzen und lediglich hin und wieder von (der recht hübsch anzuschauenden) Gwyneth Paltrow als Starks Assistentin „Pepper“ unterbrochen wird. Die absolut unnötige Intention des Ganzen (unnötig, weil wie sich später herausstellte, sie von vorneherein etabliert war): Die finale Klimax des Films aufbauen.

Iron Man versucht sich als Mainstream-Actioner, der seine humoristischen Momente hat, wenn Stark tadelnd mit seinen KI-Greifarmen spricht, und etwas Satire sein möchte, wenn er Stark zum Opfer seiner eigenen Produkte werden lässt. Dies alles verkommt zur öden Nummernrevue von Robert Downey Jr., der nicht unbedingt schlecht spielt, aber einfach fehlbesetzt als Tony Stark ist. Von Terrence Howard ganz zu schweigen, dessen unnützer Perry Rhodes abseits seines comic relief-Dienstes so überflüssig ist, dass es weh tut. Jeff Bridges als vollbärtiger und glatzköpfiger Bösewicht wirkt im Gegensatz dazu die meiste Zeit unterfordert. So sehr sogar, dass sein Spiel etwas Hölzernes hat.

Doch einen Film wie diesen zeichnen natürlich nicht seine Darsteller, sondern seine imposante Action aus. Diese kommt wiederum spärlich daher, etwas portioniert zu Beginn und anschließend als kleine Appetithäppchen zwischendurch, ehe dann das große, typische Hollywood-Finale aufwartet. Das wirkt passend wie eine Kombination aus dem neuen Hulk-Teaser und Michael Bays Transformers, ist somit gänzlich frei von kreativen Eigenideen und in seiner Auflösung so profan wie einschläfernd. Lediglich ein kleiner Ausflug von Iron Man nach Afghanistan als persönliche Racheaktion weiß von seiner Inszenierung her zu gefallen, verkommt am Ende jedoch zu nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein.

Das Problem ist, dass sich die Autoren Mark Fergus und Hawk Ostby nichts Eigenständiges haben einfallen lassen. Für ihre Adaption von Children of Men mit einer Oscarnominierung bedacht, bedienen sie sich hier bei Genrekollegen wie Hulk oder Spider-Man 2, von Transformers ganz zu schweigen. Der auf cool getrimmte Soundtrack kann auch nichts retten, obschon Ramin Djawadis Titeltheme nett anklingt. Gemeinsam mit Leslie Bibb bildet es traurigerweise eines der wenigen Highlights eines insgesamt enttäuschenden Films. Das mit steigenden Produktionskosten (hier 186 Millionen Dollar ohne Marketingkosten) nicht ein guter Film einhergeht, dürfte den Machern selbst nicht unbedingt bewusst gewesen sein.

Der Cast harmoniert zwar besser als die Fantastic Four und auch die Effekte geraten überzeugender, dennoch bietet sich der Vergleich mit den Marvel-Kollegen am ehesten an. Denn beide Filme funktionieren nicht wirklich und bleiben weit hinter ihren Erwartungen zurück. Ein psychologisch-tiefes Stück wie Ang Lees Hulk bildet immer noch den Maßstab. Im direkten Vergleich mit seinem DC-Pendant sieht man, wie man es zumindest hätte besser machen können. Christopher Nolan stattete seinen Bruce Wayne mit ausreichend Tiefe aus, stellte die Action in den Hintergrund und ließ den Protagonisten zum Helden werden. Da wird Favreau auch in seinem Sequel nicht mehr viel retten können.

4.5/10

21. April 2008

The Savages

What the hell kinda of hotel is this?

Vor zehn Jahren kam eine kleine Dramödie heraus, über eine jüdische Familie die ein Nischenleben in Beverly Hills führte, erzählt aus der Sicht einer frühreifen und physisch proper ausgestatteten Natasha Lyonne. Von den Kritikern gelobt erhielt Autorin und Regisseurin Tamara Jenkins viele Nominierungen verschiedener Independentpreise, ihr Film Slums of Beverly Hills beeindruckte durch seine oberflächliche ernste Dramatik und seinen sich darunter versteckenden Witz. Seitdem hatte Jenkins allerdings keinen Film mehr herausgebracht, bis dieser Tage nun ihr zweiter Spielfilm The Savages erscheint, der wenig verwunderlich, dieselben Attribute verdient wie sein Quasi-Vorgänger. Produziert wurde das ganze von Spezialisten für subtil-witzige Dramen, nämlich Anne Carey und Ted Hope, für Filme wie Thumbsucker aber auch die John Irving-Adaption The Door in the Floor verantwortlich. Als ausführende Produzenten sind zudem Jenkins Ehemann und Oscarpreisträger Jim Taylor an Bord, sowie dessen kongenialer Partner Alexander Payne. Die Basis für ihren neuen Film zog sie dabei aus persönlichen Erfahrungen mit ihrer eigenen Verwandtschaft, sowie auch der Verwandtschaft von Bekannten. Ihre Thematisierung ist dabei durchaus pikant, wird das Thema Pflegeheim oder Demenz nicht oft in Hollywood als Grundlage für einen Film gewählt, sodass die doppelte Vertretung bei den diesjährigen Academy Awards mit The Savages und Away From Her die Ausnahme darstellt.

Schwere Kindheiten sind bedauerlicherweise nichts ungewöhnliches, vor allem in Amerika stellen diese oftmals in Geschichte die Basis für problembelastete Charaktere dar, die von ihren Erzählern zum Protagonisten aufgebauscht werden. Dies zieht meist ein zerrüttetes Familienverhältnis nach sich, welches auch die Beziehung von Geschwistern zueinander belastet, die durch die gegenseitige Anwesenheit nur an die schlimme Vergangenheit erinnert werden. Solche Geschwister sind die Protagonisten in Jenkins Geschichte, zwei problembelastete Charaktere, unglücklich mit ihrem Leben allgemein und im speziellen. Die Teilzeit arbeitende Wendy Savage (Laura Linney), die mehrfach bei renommierten Institutionen um ein Stipendium gebeten hat, damit sie ihren subversiven, semi-autobiographischen Stoff als Theaterstück inszenieren kann. Doch Weny scheitert, ein ums andere Mal und das hat sie mit ihrem Bruder, dem Philosophiedozenten Jon Savage (Philip Seymour Hoffman) gemeinsam, der ebenfalls mehrfach von besagten Institutionen abgelehnt worden ist. Jon selbst schlägt sich gerade mit einem Sachbuch zu Berthold Brecht herum, tritt auf der Stelle und kommt nicht so recht vorwärts, da er auch psychisch vorbelastet ist und seine polnische Freundin nach dreijähriger Liaison ihr Visum aufgeben und zurück nach Krakau ziehen muss. Bei Wendy läuft es in der Liebe nicht besser, sie pflegt eine Affäre mit dem verheirateten Theaterintendanten Larry (Peter Friedman). Zu ihrem Vater haben die beiden dabei noch weniger Kontakt, wie sie ihn zu sich selbst pflegen.

Was zu Beginn des Filmes dann folgt ist eine Familienvereinigung der anderen Art. Wendy und Jons Vater Lenny (brillant: Philip Bosco) verliert nicht nur seine langjährige Freundin an den Tod, sondern auch seine Erinnerung. Er beginnt an Demenz zu leiden und muss sein Zuhause schließlich verlassen, da es rechtmäßig seiner Freundin gehörte. Fortan sind die beiden Kinder, die zu ihrem Vater nie ein liebendes Verhältnis hatten und darüber hinaus von diesem misshandelt wurden, für dessen Leib und Wohl verantwortlich. Hierbei könnten beide Geschwister nicht ähnlicher und zugleich unterschiedlicher dargestellt sein, beide vereint ihre Inkompetenz ihre Gefühle auszudrücken und der Drang nach literarischem Erfolg. Bezüglich Lenny jedoch nimmt Jon die pragmatische Rolle ein, sein kranker Vater ist für ihn eine Last, ein Umstand, eine soziale Verpflichtung der er sich gesetzlich schuldig fühlt. Eine wirkliche Bindung zu seinem Vater ist nicht vorhanden und auch vor seiner Schwester verschließt er sich so gut wie möglich, lässt aber sichtbar seine Probleme die er mit ihrem augenscheinlichen Erfolg hat zutage treten, als diese scheinbar ihr Stipendium bewilligt bekommt, welches ihm stets versagt geblieben ist. Jon ist eine introvertierte Figur, die auch ihren Unterricht an der Universität mehr für sich selbst lehrt, als für die Studenten, der das erstbeste Pflegeheim für seinen Vater wählt, anstatt sich mit den übrigen Optionen auseinander zu setzen.

Wendy hingegen, obwohl emotional gegenüber Larry immer von einer gefestigten Distanziertheit geprägt, nimmt sich die Demenz ihres Vater sehr zu Herzen. Sie organisiert Luftballons und Beileidskarten, als sie mit Jon zur Kondolenzbekundung für dessen Freundin in ein abgeschiedenes Rentnerörtchen in Arizona reist, sie sorgt sich um die Kleidung ihres Vaters, um die Ausstattung seines Zimmers, wird sogar richtiggehend wütend, als ein Kissen verschwindet, dass sie ihm gekauft hat. Außerdem bemüht sich Wendy um die Aufnahme in einem besseren Pflegeheim, nicht weil sie ihren Vater liebt oder nur das beste für ihn möchte, sondern wie Jon richtig interpretiert um sich selbst einen Gefallen zu tun. Sie fühlt sich schuldig, nicht für ihren Vater da zu sein, sich nicht selbst um ihn zu kümmern, ihn zu versorgen, ihn stattdessen in ein spärliches Pflegeheim abzuschieben – mit der Ironie, dass Lenny nicht mal merkt wo er ist, sondern die Einrichtung als Hotel wahrnimmt. All ihre Bemühungen zielen darauf ab, sich selbst von Schuld los zu sprechen, es dem Elternteil so bequem wie möglich zu machen, während man es für sich selbst ebenfalls bequem hält. Ein soziales Problem, das hier thematisiert wird: wie ist mit den Alten umzugehen? Das Elternteil wird alt, gebrechlich, dement, kann sich weder alleine anziehen, aufs Klo und weiß weder wo es sich befindet, noch wer sich in seiner Umgebung aufhält. Sich um so eine Person ist äußerst anstrengend, weil redundant, das weiß jeder, der mal mit solchen Menschen beschäftigt war, sei es aus eigener Erfahrung oder dank eines Praktikums in einer sozialen Einrichtung.

Der Film ist keine Komödie, auch wenn er in der IMDb als solche geführt wird, vielmehr ist er Drama, das nur deshalb gelegentlich komisch wirkt, weil man sich selbst darin erkennt, in einer gewissen Form von Schadenfreude. Wenn Lenny im Flugzeug auf dem Weg zum Klo die Hose plötzlich herunterrutscht, ist das per se nicht amüsant, man schmunzelt dennoch. Viel stärker noch als in ihrem Debüt skizziert Jenkins hier den subtilen, subversiven Humor, der nicht offen zelebriert wird, sondern sich aus der Sicht der Geschwister ergibt. Ziel des Filmes ist es allerdings nicht das Publikum zu amüsieren, sondern ein Bild abzugeben von der Auseinandersetzung relativ junger Menschen mit dem Tod. Wie ist zu verfahren, wenn der Vater – oder die Mutter – nicht mehr für sich selbst sorgen kann? Wer bringt tatsächlich die Kraft auf sein Leben hinten anzustellen und sich um die betreffende Person zu kümmern? Wer würde nicht auch lieber diese Person einfach in ein betreutes Wohnprojekt oder Pflegeheim abgeben? Jenkins Geschichte ist durchaus ehrlich, die private Probleme der Geschwister außer Acht gelassen. Überaus gut geschrieben, fast so tiefgreifend wie das Skript von Nancy Oliver, bedauerlicherweise gehen viele der witzigen Momente bzw. Untertöne in der deutschen Synchronisation verloren, was schon angesichts der Tatsache dass Philip Seymour Hoffman deutsch singt sehr zu bedauern ist. Eine Schande wäre es, wenn Mrs. Jenkins erneut zehn Jahre zum nächsten Projekt warten würde, hat sie ihr literarisches Talent hiermit untermauert.

8/10

19. April 2008

Kurz & Knackig: Friend or Foe

Rendition

Seltsamerweise wurde der Film als er erschien sehr schlecht aufgenommen, zumindest recht verhalten. In der Bloggersphäre finden sich auch nicht viele Reviews zu ihm, lediglich bei Marcus wurde ich auf die Schnelle fündig und der schätzte ihn nicht sonderlich. Daher waren meine eigenen Erwartungen relativ gering, da ich zudem Reese Witherspoon nicht wirklich ertragen kann. Erzählt wird die Geschichte des in Amerika lebenden Ägypters Anwar El-Ibrahimi (Omar Metwally), der nach einem Selbstmordanschlag in Marokko von der CIA verdächtigt wird, mit dem Initiator der Attacke - bei der sie einen Mann verlor - namens Rashid in Kontakt gewesen zu sein. Anwar wird nach einem Flug aus Südafrika einfach abgeführt und von der Passagierliste gestrichen, seine Frau (Witherspoone) erfährt nichts über seinen Verbleib. Während sie mit ihrem ehemaligen Collegefreund (Gyllenhaal-Schwager Peter Sarsgaard), der für einen Senator arbeitet, versucht Informationen über seinen Aufenthaltsort herauszufinden, wird der bei der Attacke anwesende CIA-Analysist Freeman (Jake Gyllenhaal).

In einem Nebenstrang wird auch noch Abasis zerrüttetes Familienverhältnis erzählt. Basieren tut die ganze Geschichte auf dem wahren Fall von Khalid El-Masri, der für den Terroristen Khalid Al-Masri gehalten wurde. Sehr gelungen zeigt Oscarpreisträger Gavin Hood, der hier nebenbei bemerkt mit weiteren Preisträgern (Witherspoone, Meryl Streep, Alan Arkin) arbeitet, die amerikanische Überstellung von Terrorverdächtigen (extraordinary rendition), kulminierend in der schönen Aussage von Streeps Charakter, dass die Vereinigten Staaten keine Folter betreiben würden. Gyllenhaals Figur steht hierbei symbolisch für die freie, nicht-amerikanische Welt, die sich angewidert von deren Methoden abwendet. In der Mitte schwächelt der Film etwas und Witherspoones Figur hätte im Grunde von jeder x-beliebigen Actrice dargestellt werden können, dennoch weiß er sehr viel besser zu gefallen, als Redfords langweilige und sich im Kreis drehende Parabel. Am Ende überrascht Hood schließlich noch mit einem sehr gelungenen Plot Twist, der positiv überrascht.

7/10

Lions for Lambs

Robert Redford entführt zu einer Lehrstunde über Eigeninitiative und Kriegstreiberei. Zwei Drittel seines Filmes bestehen aus Dialogen, meist zwischen zwei Dialogpartner, das letzte Drittel beschäftigt sich mit zwei Soldaten in feindlichem Gebiet. Um was geht es? Bobby Redford lädt seinen Elitestudenten zu einem Gespräch ein, weil der nicht mehr in dessen Seminar erscheint. Da geht Bobby gleich die Hutschnur hoch, hat er doch einst zwei andere Elitestudenten an die US Army verloren und nun kämpfen die beiden in Afghanistan für falsche Ideale. Ebenjene beiden Soldaten widmet er sich dann in der zweiten, parallel erzählten Episode. Ein genialer Schachzug zur Einnahme eines Hügels läuft wider Erwarten schief und beide G.I.’s stürzen in Taliban-Gebiet ab. Kann Peter Berg als leitender Offizier rechtzeitig einschreiten? Bei besagtem Einsatz handelt es sich um einen Plan des republikanischen Senators Irving (wie immer mit Zahnpastagrinsen: Tom Cruise). Dieser eröffnet einer Journalistin (Meryl Streep) in einem Exklusivinterview von Amerikas Plan den Kampf gegen den Terror zu gewinnen.

Die ganze Schose dauert dann etwa achtzig Minuten und der Kleriker fand das alles zum Beispiel auch oberspitzenklassen und selbst Rajko kann Bobbys Arbeit einiges abgewinnen. Irgendwie frag ich mich jedoch, was das ganze da eigentlich soll, erzählt einem Redford in seinem Film null komma nichts, was man nicht bereits im Vorfeld wusste. Was ist falsch mit meinem Land, warum zeigt der einzelne nicht mehr Bereitschaft etwas zu verändern? Larifari, Pustekuchen. Redford als idealisierter Uniprofessor versucht seine Schäfchen zu selbstdenkenden Individuen zu erziehen und wenn diese dann eine Entscheidung fällen (siehe die G.I.’s) passt es ihm doch wieder nicht. Cruise wiederum darf in seiner von ihm gewohnten Art die Streep zusammenstauchen, Kampf gegen den Terror, koste es was es wolle. Lions for Lambs führt eigentlich nirgendwo hin, vor allem deswegen, weil die Menschen, die Redford erreichen will mit seinem Film, diesen ohnehin nicht (freiwillig) ansehen. Und diejenigen, die es tun, waren bereits vorab informiert. Zum Glück hat das alles dann nur 80 Minuten gedauert, alles darüber hinaus wäre Zeitverschwendung gewesen.

5/10

The Brave One

In München kann man kaum noch in die U-Bahn steigen, ohne von Jugendlichen halb tot geprügelt zu werden und selbst Fahrten auf der Autobahn sind inzwischen lebensgefährlich. Da wundert es nicht, wenn auch die Radiomoderatorin Erica (Jodie Foster) nach einem Überfall auf Leib und Leben mit einer Wumme durch die Gegend spaziert und alles niedermäht, was ihr an den Kragen will. Doch der gewitzte Polizeiermittler (Terrence Howard) ist ihr, der Rächerin der Strassen, bereits auf der Spur. Neil Jordan würzt das ganze dann noch damit, dass er Jäger und Gejagten eine leichte Romanze aufbauen lässt, kulminierend in einem unsäglichen Finale, das irgendwie perfekt zur ganzen Rahmenhandlung passt. Das treffende Wort ist bizarr, wenn man sich damit auseinandersetzt, dass die gute Erica vierzig Jahre in New York gelebt hat, ohne je - zumindest hat es sehr stark den Anschein - mit Gewalt konfrontiert worden zu sein.

Doch als man sie Komareif prügelt und ihren indisch-stämmigen Freund (Naveen Andrews) umbringt, ist sie so gebrandmarkt, dass sie sich eine Waffe besorgt. Und holla die Waldfee, auf einmal kann sie nicht mal mehr in die Drogerie gehen, ohne dass sie sich Gewalttätern gegenüber sieht. Erica in Drogerie: Gewalt. Erica in U-Bahn: Gewalt. Eine vierzigjährige gewaltfreie Frau trifft aus heiterem Himmel überall auf Gewalt? Man man man, was hat sich Jordan dabei nur gedacht, dazu die Figur von Howard, der Polizist der sein Vertrauen in das Rechtssystem verliert und daher frustriert seiner Arbeit nachgeht. Irgendwie wieder so ein Film, den eigentlich keiner braucht - am wenigsten die Foster. Immerhin nicht so überzogen wie der unerträgliche Death Sentence.

3.5/10

Smokin’ Aces

Der Trailer machte lange Lust auf mehr, hauptsächlich da er geschickt zusammen geschnitten war, außerdem vereinte der Film erneut Regisseur Joe Carnahan und Ray Liotta, die bereits bei Carnahans Geheimtipp Narc zusammen gearbeitet hatten. Die Story um den Mafiazeugen Buddy Israel (Jeremy Piven), der von einer Horde Kopfgeldjäger umgelegt werden soll, biedert sich auch recht interessant an. Mit dem Film feierte Ryan Reynolds schließlich seinen Durchbruch als Action“star“, zudem gab es die Leinwanddebüts der beiden R’n’B-Künstler Alicia Keyes und Common zu bewundern. Carnahans Film ist im Grunde nichts, als ein großer Zirkus mit offenen Toren. Die Tremor-Brüder, Georgia Sykes und ihre schräge Freundin Loretta, Buddy Israel und der total bekloppte kleine einäugige Karatejunge, fügen sich selbstverständlich zu keiner Handlung zusammen.

Vielmehr feiert Carnahan kleine Momente, die für sich genommen durchaus reizvoll sein könnten, zusammengefügt aber eine Anhäufung von sinnlosen Szenen ergeben, die keinem höheren Zweck dienen. Wieso, weshalb, warum - alles Fragen, auf die dieser Film keine Antwort bietet. Carnahan zelebriert vielmehr style over substance, doch auch seine furiose Schnitttechnik, die vielleicht der XBox-Generation eine Erektion beschert, kann hier kaum etwas retten. Der Film ist anstrengend und unglaublich ermüdend, selbst wenn er damals in der Sneak doch besser zu gefallen wusste. Damals fand ich das ernste Ende sehr unpassend, bei der zweiten Sichtung muss ich aber sagen, dass die finale Auflösung eigentlich das einzig Gute an dem ganzen Vehikel ist und das alternative Ende gescheiterweise außen vor gelassen wurde.

3/10

17. April 2008

Vratné lahve

Eine Begrüßung setzt eine Verabschiedung voraus.

Das problematische, an Arthaus-Filmen ist, dass sie ausgesprochen wenig Kopien erhalten und in sehr wenigen Kinos nur eine äußerst befristete Zeit laufen. Das schöne an ihnen ist, dass es sich meistens um herausragende Filme handelt, die man quasi ganz sein eigen nennen darf, wenn man denn die Chance hatte, sie doch irgendwo zu erhaschen. In Hamburg oder Berlin dürfte es selten ein Problem sein, einen Arthaus-Film zu sehen, in einer Landeshauptstadt wie Stuttgart gab es dagegen nur ein einziges Kino, welches Jan Svěráks Vratné lahve (Leergut) zeigte. Erfreulicherweise zeigte auch eines meiner regionalen Kinos in einer „Filmkunst“-Reihe diese Woche dieses Werk an einem Abend, sodass es mir vergönnt war in dessen Genuss zu kommen. Svěrák erlangte internationalen Ruhm durch seinen oscarprämierten Film Kolja, der 1996 erschien und den Mittelteil in dessen Lebensalter-Trilogie darstellte, die 1991 mit Obecná Skola (Volksschule) begann und nun mit Vratné lahve zu Ende geführt wird.

Was alle drei Filme vereint ist das Drehbuch und das Schauspiel von Svěráks Vater, Zdeněk Svěrák, der maßgeblich für die Geschichten verantwortlich ist, auch wenn an Kolja Pavel Taussig mitschrieb. Alle drei Geschichten tragen autobiographische Züge von Svěrák Sr. und stellen dessen Wandel im Lebensalter dar. Mit Vratné lahve konnten die Svěráks noch mal eine Schippe auf ihren Erfolg mit Kolja drauflegen, das coming-in-age Drama avancierte zum erfolgreichsten tschechischen Film aller Zeiten und lockte bei zehn Millionen Einwohnern in der Tschechischen Republik zehn Prozent der Bevölkerung in die Kinos. Zdeněk Svěrák kehrt zum ersten Mal seit Kolja wieder auf die Kinoleinwand zurück und vereint sich dabei mit Daniela Kolářová, mit welcher er bereits 1978 in Kulový blesk und noch in drei weiteren Filmen gemeinsam spielte.

Erzählt wird die Geschichte des 69-jährigen Lehrers Josef Tkaloun (Zdeněk Svěrák), der in der deutschen Version aus unerfindlichen Gründen „Weberknecht“ mit Nachnamen heißt. Scheinbar wollte man dem deutschen Publikum einen tschechischen Nachnamen nicht zumuten, dies trifft nämlich auch auf die Nebenfiguren Řezáč (dt. Schneider) und Ptáčková (dt. Vöglein) zu. Aber die Deutschen beweisen mit ihren Übersetzungen ja immer wieder ihren verqueren Einfallsreichtum. Josef jedenfalls ist Lehrer, der schon lange den Verfall der Sitten bemängelt. Die Schüler grüßen ihn nicht mehr und im Unterricht unterbricht ihn ständig der Klassenclown. Solange bis Josef die Sicherung durchbrennt und er diesem den nassen Schwamm über dem Kopf ausdrückt. Da dies bereits zum vierten Mal passiert und der Vater des betreffenden Schülers ein Sponsor der Schule ist, zieht Josef die Konsequenzen und kündigt seine Arbeit, die ihn ohnehin seit langem nicht mehr befriedigt.

Zu Hause bei seiner pensionierten Frau Eliška (Daniela Kolářová) will er dann aber auch nicht den ganzen Tag herumsitzen, schließlich ist er ein „Grüßer“, jemand der seine Frau gerne grüßt, allerdings setze dies jedoch einen Abschied voraus. Sein erster Plan, Kurierfahrer zu werden, scheitert dann sehr schnell an Josefs schwachem Herz. Stattdessen nimmt er nach einem nachmittaglichen Einkaufsbummel mit seiner Frau einen Job in einem der Prager Supermärkte an. Für das Leergut ist er hier zuständig und lernt nicht nur seinen schweigsamen Kollegen mit dem bezeichnenden Spitznamen „Schwätzer“ (Pavel Landovský) und dessen Mitarbeiter am Reißwolf Mirek (Jan Budař) kennen, vielmehr baut Josef eine Beziehung zu den Stammkunden des Supermarktes auf. Für Josef stellt der Supermarkt eine Art Refugium dar, ein Relikt der alten Zeit, als man sich noch gegenseitig sagte, dass man gut aussah und wo man nach dem Verbleib der Kinder fragt und Smalltalk betreibt.

Josef ist ein Patriarch und ein Macho obendrauf. Er kommandiert seine Frau herum, der Gedanke den ganzen Tag mit ihr zu verbringen, ist ihm zuwider. Als seine Tochter Helenka (Tatiana Vilhelmová) von ihrem Mann verlassen wird, schreibt er ihr die Schuld dafür zu und spielt ihr Elend herunter. „Du bist nicht die erste Frau, die von ihrem Mann verlassen wird“, so ein lapidarer Kommentar. Später erkundigt er sich bei seinem Schwiegersohn sogar über dessen Sexleben, insbesondere da Josef selbst ein Schürzenjäger und Schwerenöter ist. An seiner Leergutannahme stiert er den Rockzipfeln anderer Frauen hinterher und hält sich die Möglichkeit einer Affäre mit seiner Ex-Kollegin offen. Verstärkten humoristischen Hintersinn haben seine erotischen Träume, in denen alle Frauen vorkommen, außer seiner eigenen. Dabei ist Eliška eine attraktive Frau, die sich sehr viel Mühe gibt, weiterhin für Josef attraktiv zu sein und zu wirken. Dieser nimmt sie aber nicht wahr, was die Ehe nach all den Jahren in eine gewisse Sackgasse treibt.

Mit seinem Film erzählt Jan Svěrák die Geschichte eines alten Mannes, der sich fremd in seiner Umgebung fühlt und sich nach Altbewährtem sehnt. Als er dies in der Leergutannahme wieder findet, ist er zum ersten Mal seit langem wieder glücklich, zwar ändert sich etwas für ihn, er selbst ändert sich jedoch nicht und damit ändert sich auch nichts für die Menschen in Josefs Umgebung. Seine Katharsis kommt am Ende etwas überraschend und unvorbereitet, doch merkt er schließlich, dass es ihm nichts bringt, in der Vergangenheit zu verharren, sondern dass er im Jetzt leben muss. Die darstellerischen Leistungen sind dabei über jeden Zweifel erhaben, besonders Svěrák und Kolářová heben sich hervor, werden aber von dem restlichen Cast bestens unterstützt. Mit einem Schmunzeln beobachtet man vereinzelt Svěrák, den man aufgrund seines Aussehens auch als tschechischen Sean Connery bezeichnen könnte. Svěrák erzählt seine Geschichte mit sehr viel subtilem Witz, der für die jüngere Generation wahrscheinlich nicht immer nachvollziehbar sein dürfte.

Jedoch ist Vratné lahve auch kein Film, der von seinen Machern auf diese Zielgruppe ausgerichtet ist. Svěrák Jr. kreiert sehr authentische, aus dem Leben gegriffene Szenen, die gerade wegen dm Zusammenspiel ihrer Figuren funktionieren. Über die meisten Strecken ist sein Film kein Drama, sondern eine reine Komödie, fokussierend auf Josef und seine stures Verharren in seinem machohaften Verhalten. Hin und wieder verliert sich der Film kurz in einer Nebenhandlung, fängt sich allerdings jedes Mal sofort wieder. An einer Stelle baut der Regisseur sogar eine amüsante Referenz zu seinem Erfolgshit Kolja ein, auch wenn diese sich scheinbar nicht vielen im Kinosaal erschlossen haben mag. Einziger richtiger Kritikpunkt ist wohl das Ende, welches sehr abrupt kommt respektive falsch gewählt ist. Hier wäre es besser gewesen ein, zwei Einstellungen früher zu enden, da das Resultat noch dasselbe, der Eindruck jedoch gelungener gewesen wäre. Dennoch einer der Filme des Jahres.

8.5/10

16. April 2008

Before the Devil Knows You’re Dead

May you be in heaven half an hour, before the devil knows you’re dead.

Er zählt zu den Altmeistern, der gute Sidney Lumet, und ist mit seinen 84 Jahren auch bereits recht rüstig. Vor fünfzig Jahren beeindruckte er mit seinem ersten Kinofilm 12 Angry Men und lieferte die Vorlage für verschiedene Remakes unterschiedlicher Nationen. Seinen Ruf bekräftigte er die folgenden Jahrzehnte mit Werken wie Network, Dog Day Afternoon und Serpico. Doch in den letzten Jahren baute Lumet etwas ab, inszenierte Filme wie Gloria mit Sharon Stone oder Find Me Guilty mit Vin Diesel. An seinem Zenit angelangt schien der viermal für den Regie-Oscar nominierte Lumet, der im Jahr 2005 den Ehrenoscar der Academy erhielt. So kam es, dass er zum ersten Mal seit vierzig Jahren wieder für das Fernsehen inszenierte, das Medium, welches einst seine Karriere eingeleitet hatte.

In der Serie 100 Centre Street experimentierte er dann mit den neuen HD-Kameras, mit welchen er auch seinen aktuellen Film drehen sollte. Auf einer Pressekonferenz im vergangenen Jahr hielt er dann zugleich eine Grabrede auf den 35mm-Film, bezeichnete die Arbeit mit diesem als „pain in the ass“ und sah das Ende des Zelluloid-Zeitalters gekommen, wenn sich Verleiher und Vorführer endlich auf ein Projektionsformat einigen könnten. In der Tat lässt sich Before the Devil Knows You’re Dead als Anknüpfung an die guten alten Zeiten des Regisseurs verstehen, auch wenn der Film nicht die Tiefe eines Angry Men oder Spannung von Serpico aufbauen kann, im Vergleich zu den Arbeiten seiner letzten 15 Jahre ist der Film dennoch eine positive Kehrtwendung. Diese Bestätigung wird weitläufig geteilt, die Kritiken sind meist sehr gut.

Die Geschichte, die der Film erzählt, ist relativ simpel und doch so vielschichtig, dass man fast nichts über sie sagen kann, wenn man nicht zu viel von dem Handlungsverlauf verraten möchte. Es ist die Geschichte zweier Brüder, die unterschiedlicher nicht sein könnten und doch soviel gemeinsam haben. Auf der einen Seite gibt es Andrew Hanson, Andy genannt und vom Oscarpreisträger Philip Seymour Hoffman wie man es von ihm gewöhnt ist glaubwürdig und solide porträtiert. Andy hat sich in seiner Bank nach oben gearbeitet, ist Anzugträger und besitzt Geld. So könnte man jedenfalls meinen, doch Andy hat ein teures Hobby: Heroin. In einem Edel-Loft trifft er sich mehrmals die Woche mit seinem Dealer und lässt sich einen Schuss verpassen - scheinbar das einzige, was ihm noch Lust bereitet.

Denn in seiner Ehe mit Gina, ebenfalls von einer Oscarpreisträgerin, Marisa Tomei, dargestellt, läuft es nicht mehr wie gehabt. Andy erzählt seiner Frau nicht nur weniger Dinge als früher, auch das Sexleben hat darunter zu leiden, daran konnte auch ein romantischer Urlaub in Rio de Janeiro nicht wirklich etwas ändern. Gina ist gefrustet, fühlt sich von ihrem Mann nicht mehr begehrt, die Ehe kriselt, auch wenn die erste Szene des Filmes diesen Eindruck verschleiert. Das Geld für seine Drogensucht hat Andy von der Arbeit abgezweigt, gerät jedoch in die Bredouille, als eine Steuerprüfung ins Haus steht. In kurzer Zeit braucht er möglichst viel Geld und kommt anschließend scheinbar nur zu einer Lösung, die letzten Endes eine Tragödie griechischen Ausmaßes initiieren wird.

Auf der anderen Seite gibt es Hank, Andys Bruder. Hank lebt geschieden von seiner Frau Martha, hier dargestellt von der letztjährigen Nebenrollenkönigin und oscarnominierten Amy Ryan. In Marthas Augen, auch in denen seines Bruders, ist Hank ein Loser, der finanziell knapp bei Kasse ist, seiner Ex-Frau drei Monate Unterhalt für die gemeinsame Tochter schuldet. Da sie ihr Geldmangel eint, weiht Andy seinen Bruder in den großen Plan ein, wahrscheinlich nur, um sich nicht selbst die Hände schmutzig zu machen. Er schiebt eine fadenscheinige Ausrede vor und schickt Hank, um den gemeinsamen Plan auszuführen. Hierbei handelt es sich um einen Raubüberfall auf ein Juweliergeschäft. Jedoch nicht irgendein Juweliergeschäft, sondern das Geschäft von Hank und Andys Eltern Nanette und Charles (Albert Finney).

Ethan Hawke gelingt es großartig Hanks Unsicherheit und Naivität einzufangen, sodass er selbst Hoffman in den gemeinsamen Szenen gelegentlich überstrahlt und fraglos eine seiner stärksten Karriereleistungen abliefert. Hank fühlt sich sichtlich unwohl bei dem Gedanken das elterliche Geschäft zu überfallen, weswegen er auch den Kleinkriminellen Bobby aufsucht und um Unterstützung bittet. Es wird schließlich auch Bobby sein, welcher den Überfall aktiv ausführt, während Hank im Wagen wartet und sich zu „Schwuchtel“-Musik - wie es Bobby lapidar bezeichnet - versucht zu beruhigen. Doch wider Erwarten geht der geplante Coup schief und löst eine Welle von Ereignissen aus, die am Ende das Leben aller Beteiligten für immer Umkrempeln wird.

Das Drehbuch zu Before the Devil Knows You’re Dead wartete ganze acht Jahre auf seine Verfilmung und entstammt dem Theaterautoren Kelly Masterson. Dieser machte einst eine ungewöhnliche Wandlung durch, war er früher Franziskaner Bruder, der sich kurz vor der Weihe dann doch noch für das Theater entschied. Der Titel zum Film entstammt dem oben angeführten Zitat, welches seinem Ursprung her ein irischer Trinkspruch ist. Lumet inszeniert Mastersons Skript über die meiste Zeit in einem äußerst ruhigen Erzähltempo, durchzogen von verschiedenen Zeitsprüngen, dabei die Geschichte aus dem Blickwinkel von Hank, Andy und ihrem Vater Charles erzählend. Stück für Stück erhält man Einblicke in die Leben dieser drei Männer und in ihre Beziehung zueinander, manche Szenen werden hierbei von Lumet gänzlich ohne musikalische Untermalung unterlegt.

Es ist eine Familientragödie, die erzählt wird, daran besteht kein Zweifel und es erklärt auch, wieso auf die polizeiliche Komponente kein Wert gelegt wird. Trotz des ruhigen Tons baut der Film unterschwellig eine hohe Spannung auf, steuert auf die finale Konfrontation hin, getragen von den Veränderungen in den beiden Hauptcharakteren von Finney und Hoffman. Hier findet sich das Problem, von Lumets gut gemachtem Thriller, denn gerade diese beiden Figuren entwickeln sich am Schluss in eine Richtung, die nicht wirklich nachvollziehbar ist, im Gegenteil sogar in den Momenten zuvor nicht verständlich vorbereitet wurde. Das Ende ist dabei äußerst unsäglich geraten und zieht den guten Film dann etwas runter. Ganz an die alte Klasse vermag Lumet also leider nicht anzuknüpfen.

6/10

11. April 2008

Street Kings

In my world, bad breeds more bad.


Haben Sie sich auch schon mal gefragt, was eigentlich aus Alonzo Harris wurde? Richtig, ja, er wurde am Ende von Training Day erschossen. Was wäre jedoch, wenn ihn die Russenmafia in Ruhe gelassen hätte und der gute Hoyt ihm nicht vor den Karren gefahren wäre? In dem Fall würde er wohl Jack Wander heißen und Captain des LAPD Spezialkommandos Ad Vice sein. Erstaunlich, dass Drehbuchautor David Ayer seine afro-amerikanischen befehlshabenden Cops in Training Day und nun in Street Kings so identisch anlegt, dass Denzel Washington und Forest Whitaker nicht nur versuchen im selben Ton zu reden, sondern sich sogar ähnlich anziehen. Das spricht in der Tat für Ayers Kreativität, die sich spätestens dann nachvollziehen lässt, wenn man sich mal sein Sujet ansieht.

Der gute Mann verfasste die Drehbücher zu den Filmen Training Day, Dark Blue und Harsh Times, die sich im Grunde alle ähneln und so verwundert es auch nicht, dass Ayers neuester, Street Kings hier im wahrsten Sinne des Wortes wie der Arsch auf den Eimer passt. Wie bereits bei Dark Blue der Fall, adaptierte Ayer eine Geschichte des Kriminalautoren James Ellroy, dessen L.A. Confidential den meisten besser in Erinnerung geblieben sein dürfte, als The Black Dahlia. Zusammen mit einer handvollen namhafter Akteure, sowie real life thugs und Gangsta-Rappern inszenierte Ayer das, was er beherrscht respektive nicht beherrscht: einen Polizeithriller rund um das Thema Korruption. Sein Bestreben bei Street Kings war jedoch, zu zeigen wie es heutzutage ist, ein Cop in Los Angeles zu sein. Er möchte zeigen wie die amerikanische Exekutive vorgeht, wollte das Genre erweitern, nein, die Grenzen des Genre sogar sprengen.

Was am Ende dabei herauskam, ist ein Film, den man praktisch an jeder Filmhochschule der Welt zeigen könnte, wenn es um die Thematik des Polizeithriller-Genres geht. Von Grenzen sprengen ist hier weit und breit nichts zu sehen, denn wer den Bösewicht der Geschichte nach den ersten zehn Minuten nicht ausgemacht hat, dem scheint nicht mehr zu helfen zu sein. Keanu Reeves, nach seinem Erfolg mit The Matrix in den letzten Jahren wieder auf den Boden der Tatsachen angekommen ist, spielt den polizeilichen Ermittler Tom Ludlow. Ayer bürstete seine Heldenfigur nach dem gängigen Klischee, Ludlow hat jemanden einst verloren (seine Frau) und ertränkt seinen Kummer täglich in Alkohol. Das hält ihn jedoch nicht davon ab, nebenbei noch Supercop zu spielen. Als Ein-Mann-Kommando räumt er zu Beginn des Filmes einen koreanischen Kinderporno-Ring auf, im Krankenhaus wird er anschließend von dem internen Ermittler gefragt, woher Ludlow wusste, wie er die Täter zu finden hatte (da immerhin die ganze Stadt nach diesen suchte).

Ludlow presst ein „Das ist mein Job hervor“ und es ist klar, dass es keine Rolle spielt, wie er den Koreanern auf die Schliche kam, denn Ludlow ist DER Mann. Später nimmt das ganze noch bizarrere Auswüchse, wenn Ludlows Vorgesetzter, Captain Wander (Forest Whitaker), ihn als „die Speerspitze“ seiner Einheit bezeichnet, quasi als Achilles des Ad Vice Teams. Hier hat man Ludlow, den trinkenden Cop, der immer den Tag rettet und dabei auch gerne mal Gewalt anwendet. Der nicht nach den Regeln spielt, und Tatorte so stellt, dass man ihm nichts nachweisen kann. Seine Einheit (Amaury Nolasco aus Prison Break, Jay Mohr mit dämmlichen Schnauzer und Carrie Bradshaws Ex, John Corbett) steht hinter ihm, allen voran sein Chef, der ihn praktisch von der Picke auf zu dem gemacht hat, was er heute darstellt.


Man hat es praktisch mit dem dreckigen Dutzend zu tun, die nicht grad die bessten Menschen sind, aber durch ihre Arbeit die anderen beschützen – im Grunde also Leute wie man sie in Denzel Washingtons Einheit in Training Day oder bei Kurt Russell in Dark Blue bereits gefunden hat. Dem entgegen steht wie immer der interne Ermittler, die Cop-Jäger, verhasst von ihren Kollegen und die einzig guten in einem Sumpf aus Korruption und Amtsmissbrauch. Man merkt bereits, Ayer hat in der Tat das Genre revolutioniert. Was er seine Figuren anschließend treiben lässt, fasziniert auch lediglich durch seine Einfallslosigkeit. Ludlow bekommt Ärger, jemand ist ihm auf der Spur, dadurch kommt er jemand auf die Spur und steckt in noch mehr Ärger – der Schlinge zieht sich enger und enger, sodass am Ende das eintritt, was in diesem Genre immer eintritt.

Da Street Kings inhaltlich auf einen Bierdeckel passt beziehungsweise es sich genau genommen um die beidseitig beschriebenen Bierdeckel von Training Day und Dark Blue handelt, ist das, was sich vordergründig abspielt, nicht wirklich von Belang. Da Ayer und seine Produzenten besonders die Authenzität ihrer Geschichte und Figuren loben, wären diese sicherlich eines genaueren Blickes wert. „Ludlow darf von Berufs wegen Leute auslöschen, die dem Gesetz nicht gehorchen“, beschreibt Ayer seinen Helden, sodass man sich fragt, in welcher Welt der gute Mann eigentlich lebt. Ein Cop wie es Tom Ludlow ist, würde sich im echten LAPD bestimmt nicht finden, mäht er doch fast alles nieder, was sich im in den Weg stellt. Amerikanische Polizisten haben ein bestimmtes Limit, so unpassend das Wort auch ist, an Erschießungen. Geschehen allein zwei tödliche Schüsse auf Verdächtige innerhalb einer kurzen Zeit, müssen sich die jeweiligen Polizisten vor einem Ausschuss verantworten.


Seltsamerweise hat Ayer dies in Dark Blue noch richtig dargestellt, sodass seine dort von Scott Speedman dargestellte Figur Bobby Keough eher echter Cop ist, wie Ludlow. Da wundert es auch nicht, dass Ludlow wie es ihm gefällt auf eigene Faust mit einem Kollegen einer anderen Abteilung irgendwelche Mordfälle aufklärt. Auch die inzwischen monotone Darstellung des Los Angeles Police Department langweilt inzwischen und würde sie dem von Ayer proklamierten realen Bild entsprechen, wäre dies sicher längst behoben worden. Das einzige was an der Darstellung der Polizei authentisch ist, ist die Ausstattung, die bis ins Detail ausgearbeitet wurde und sich den technischen Beratern und Ex-Polizisten um Jaime Fitzsimons verdanken lässt. Hier spielt wahrscheinlich doch eher Ayers eigene Vergangenheit in der Bandenhochburg South Central eine Rolle, denn wer am Ende eigentlich kein böser Cop ist, ist schwieriger zu beantworten als andersherum.

Zusammenfassend lässt sich also sagen: die Handlung ist nach dem Genre gebürstet und auch die in ihr auftretenden Figuren sind nach Genre gebürstet, selbst die Verfolgungsjagden sind nach Genre gebürstet. Gerade die Verfolgung eines Verdächtigen durch ein Wohnviertel hat man dieses Jahr bereits in In the Valley of Elah gesehen, auch wenn sie dort nicht weniger lächerlich wirkte, als sie dies hier tut. Wie in seinen anderen Geschichten würzt Ayer auch diese nicht nur mit Rap und Hip Hop Musik, sondern wirft auch wieder den einen oder anderen Rapper selbst in das Geschehen. Verdankten in Training Day noch Snoop Dogg, Dr. Dre und Macy Gray ihren Leinwandauftritt, so dürfen in Street Kings Dr. Dre Protege The Game und Grammy-Gewinner Common (Smokin' Aces) ihr (nicht existentes) Schauspieltalent unter Beweis stellen.


Neben den wie immer hölzern agierenden Keanu Reeves oder Chris Evans fällt das jedoch nicht einmal großartig ins Gewicht, auch Oscarpreisträger Whitaker fällt mit seiner Denzel-Washington-Gedächtnis-Performance durch das Raster, wirklich überzeugen können lediglich House M.D. Hugh Laurie und der oben angesprochene Jay Mohr, dessen Schnauzer wie der Kinnbart von John Corbett oder das Mohrsche Pendant bei Whitaker nur zum Schmunzeln anregen. Die weiblichen Rollen mit Martha Higareda (wenn auch hübsch anzusehen als Krankenschwester) und Pirates of the Caribbean-Actrice Naomie Harris sind nicht nur im Kontext der Geschichte unnötig, sondern an sich auch verschenkt, da nicht herausgefordert. In einer weiteren Nebenrolle darf dann noch Cle Shaheed Sloan auftreten, der den Einwohner von Los Angeles eher unter seinem Straßennamen „Bone“ bekannt sein dürfte und ein ehemaliges Mitglied der Straßengang Bloods ist.

Der gute Mann durfte bei Training Day als Gang-Berater fungieren und sogar verschiedene Mörder und Gangbanger der in Los Angeles beheimateten Banden Crips und Bloods für Filmautritte gewinnen. Wo wir schon dabei sind, von Bandengewalt kann auch Jayceon Taylor ein Lied singen, der heute unter dem Pseudonym The Game bekannt ist. Seine Eltern waren beide Mitglieder der Crips und so verbrachte er seine Jugend hauptsächlich in einem Pflegeheim, bevor er wegen Drogen von der Uni flog und fünfmal angeschossen wurde. Sein Rap-College Common verfasst inzwischen Kinderbücher und Cedric the Entertainer, der ebenfalls eine kleine Rolle hat, bemüht sich gegen Armut. Authenzität bezüglich des Lebens in Los Angeles ist also vorhanden gewesen am Set, zumindest das Leben auf den Straßen, zu dessen Königen ja der Titel die Protagonisten verklärt.


Was bleibt also von Street Kings, der ursprünglich The Night Watchman hieß? Ein spannender oder rasanter Thriller? Eher nicht. Ein authentisches Bild der heutigen Polizei von Los Angeles? Lachhaft. Ein gut gespieltes Stück Genrekost? Leider nein. Der Film selbst ist solide inszeniert, dass will man Ayer durchaus nicht absprechen, die Musik nervt zwar, die Geschichte ist belanglos und die Darbietung leidlich erträglich – aber wenn man es genau nimmt, dann funktioniert der Film für die Klientel, die ihn sehen soll. Der amerikanische Jugendliche von 14 ab bis hin zum Mittdreißiger, die Personen, die MTV sehen, für die der amerikanische Trailer sehr viel mehr auf The Game und Common zugeschnitten wurde, als der internationale. Die amerikanische Kinomasse möchte gedanklich nicht zu sehr beansprucht werden, sondern einfach nur unterhalten. Da braucht man nicht erklären, wieso das, was man da auf der Leinwand sieht, überhaupt möglich ist, oder weshalb die Charaktere manchmal so idiotisch reagieren wie sie reagieren (Chris Evans wird in einer Szene mit zwei schwer bewaffneten Gangstern ausrufen „Ich weiß woher ich die kenne!“, was schließlich zu dem Ergebnis führt, zu welchem es logischerweise führen muss). David Ayer präsentiert das, was man von ihm kennt, und was wohl das einzige ist, das er auch beherrscht.

3.5/10 - erschienen bei Wicked-Vision

8. April 2008

Alice in Wonderland

Why is a raven like a writing desk?

Eigentlich kann man Disney-Filmen ebenso wenig vorwerfen, wie es bei Ghiblis möglich ist. Es handelt sich hierbei in den meisten Fällen um einfache Geschichten, oftmals konzentrierend auf eine weibliche, junge Protagonistin, in Interaktion mit Tieren oder Fabelwesen. Als Thematik werden oftmals moralische Handlungen gewählt, die den Kindern eine subtile moralische Richtung vorgeben, wie Respekt vor anderen Lebewesen oder Akzeptanz des eigenen Charakters, unabhängig vom Erscheinungsbild. Ironischerweise war Walt Disney selbst nicht der Heilige, für den man ihn halten könnte, betrachtet man seine Filme. Doch Disneys Persönlichkeit soll bei der Rezeption dieses Filmes keine Rolle spielen.

Alice’s Adventures in Wonderland erschien am 4. Juli 1865 in Großbritannien, verfasst von dem Mathematiker und Schriftsteller Charles Lutwidge Dodgson unter seinem Pseudonym Lewis Carroll. Sechs Jahre später erschien schließlich eine Art Fortsetzung mit dem Roman Through the Looking Glass. Beide Romane werden in den häufigsten Fällen von Verfilmungen zusammengelegt respektive ineinander verwoben, wobei das Schachspiel des zweiten Teiles eher selten eine thematische Zentrierung erfährt. Drei Jahre vor dem Druck von Alice in Wonderland unternahm Dodgson eine Bootsfahrt auf der Themse, gemeinsam mit Freunden. Hier erzählte er drei Mädchen eine fantastische Geschichte, eines dieser Mädchen hieß Alice Pleasance Liddell. Ihr widmete Dodgson zumindest Through the Looking Glass, auch wenn er stets abstritt, dass seine Alice auf Alice Liddell aufgebaut war.

Bis heute liegen 25 Verfilmungen von Carrolls Roman vor, die Disney Version von 1951 markierte den dreizehnten Film im Disney Kanon. Inszeniert wurde die Alice-Geschichte vom Regie-Trio Clyde Geronimi, Hamilton Luske und Wilfred Jackson, die gemeinsam auch die Regie bei anderen Disney-Filmen wie Cinderella oder Peter Pan übernehmen sollten. Ganze zehn Jahre dauerte die Planung für Alice in Wonderland und fünf Jahre wurden benötigt, um unter den Augen von Disney persönlich den Film schließlich fertig zu stellen. Als er schließlich in die Kinos kam, war der Film ein totaler Reinfall. Doch bereits in den sechziger Jahren erfreute sich das Werk schließlich einer größeren Beliebtheit und gilt heute trotz einiger schlechten Kritiken als eines der gelungensten Werke der Disney-Studios. Viele andere Werke, wie Miyazakis Tonari no Totoro oder The Matrix der Gebrüder Wachowski wurden von Dodgsons Werk beeinflusst. Insbesondere Alice Eintritt in das Wunderland durch den Kaninchenbau bzw. der Verfolgung eines weißen Kaninchens ist heute zum Slangausdruck für Drogenerfahrungen geworden. Alice in Wonderland selbst gehört zu der literarischen Kategorie „Nonsens“, was Dodgson auch nie verleugnet hat. Seine Geschichte ist keine im eigentlichen Sinne, was Alice im Wunderland erlebt, hat weder Hand noch Fuß, keinen rechten Anfang, sowie keinen rechten Schluss und einen Sinn hat es gleich gar nicht. Nicht nur ist das Geschehen totaler Nonsens, auch was die Einwohner des Wunderlandes von sich geben, ergibt in den wenigsten Fällen Sinn. Paradox ist hier nicht nur die Umgebung, sondern auch die Platzierung eines siebenjährigen Mädchens in das Ganze.

„Wenn ich ein Wort verwende“, erwiderte Humpty Dumpty ziemlich geringschätzig, „dann bedeutet es genau, was ich es bedeuten lasse, und nichts anderes.“ - „Die Frage ist doch“, sagte Alice, „ob du den Worten einfach so viele verschiedene Bedeutungen geben kannst“. - „Die Frage ist“, sagte Humpty Dumpty, „wer die Macht hat - und das ist alles“ [Through the Looking Glass, S. 99]. Hierbei handelt es sich nur um eine von verschiedenen Passagen, in welchen Dodgson mit der Logik spielt. Der Mathematiker versteht es, auf geschickte Weise sein Wissen so in die Handlung einzugliedern, dass Alice in Wonderland, ebenso wie Through the Looking Glass zu Klassikern für Mathematiker geworden sind. An sich sind die Alice-Geschichten ohnehin vielmehr für Erwachsene denn Kinder gedacht, da in den Büchern nicht nur ständig verqueres Zeug geredet wird, sondern die Figuren des Wunderlands mit Alice auch äußert rabiat umgehen. „Wie diese Viecher einen immer herumkommandieren und einen Sachen aufsagen lassen!“, dachte Alice [Alice in Wonderland, S. 130], und in der Tat wird Alice besonders in Wonderland ständig von den Einwohnern stillos herumkommandiert und in den meisten Fällen auch beleidigt. Da ihre Logik nicht mit der ihrer Umgebung funktionieren will, wird ihr häufig ihre Beschränktheit und Dummheit vorgeworfen („Du solltest dich schämen so dumme Fragen zu stellen“, meinte der Greif; Alice in Wonderland, S. 119). Für Kinder selbst ist die Handlung wohl schwer nachzuvollziehen.

Eher lassen sich die Alice-Geschichte als subtilen Seitenhieb auf die damalige Gesellschaft verstehen, in der Kindern in der Schule aufgetragen wurde, ständig irgendwelche Gedichte auswendig rezitieren zu können, weswegen auch die Einwohner des Wunderlandes Alice jedes Mal ein solches Gedicht aufsagen lassen. Sie selbst reden währenddessen sinnloses Zeug, dem Alice als Siebenjährige schwerlich folgen kann, ähnlich wie es einem Kind schwer fällt, den Gesprächen von Erwachsenen zu lauschen. Fragt Alice schließlich nach, wird sie von oben herab betrachtet und ihr ihre eigene Einfältigkeit vorgeworfen. Zudem gelingt es dem Mädchen ziemlich oft, die Geschöpfe des Wunderlandes vor den Kopf zu stoßen, die zumeist beleidigt reagieren und gekränkt Abschied nehmen.

Auch vor dem Königshaus macht Dodgson nicht halt und schildert die Herzkönigin während des Croquet-Spiels als (ironischerweise) herzlose Despotin, die Hinrichtungen en masse anordert, wenn ihr nicht nach dem Mund geredet wird. Alice selbst traut sich erst gegen die Königin auf zu gebären, als sie dieser körperlich überlegen ist. Von all diesen sozial-kritischen Komponenten und den logischen Spielereien findet man in der Disney-Version fast gar nichts mehr. Überraschenderweise fehlen auch Figuren wie Humpty Dumpty oder die Suppenschildkröte, während andere Figuren wie der Türknopf zur Handlung dazu erfunden wurden, in den meisten Fällen, um die Geschichte verständlicher zu machen. Mehr Raum bekommt auch die Grinsekatze, die seltsamerweise im Film Tigerkatze heißt und für eine total andere Wendung im Geschehen sorgt, als es in der Romanvorlage der Fall gewesen ist.

Die Tatsache, dass Disney die philosophischen Nischen der Vorlage aus seinem Film subtrahierte, spricht ebenfalls dafür, dass es sich bei den Alice-Geschichten schwerlich um Kinderbücher handelt, zumindest sind sie ungeeignet für Kinder in Alices Alter. Disney setzt stattdessen die Gewichtung auf die komischen Aspekte, nicht nur der Handlung, sondern auch der Szenerie. Dideldum und Dideldie verkommen zu Spaßmachern, ihre Geschichte vom Walross und dem Zimmermann durch die Adaption der Mär vom Mäusefänger von Hameln zur Lehrstunde („Geht nicht mit fremden Männern mit!“). Auch die Mittelpassage, die in Ansätzen dem fiktiven Jabberwocky-Gedicht entlehnt ist, ist typisch disneyscher Zeigefinger. Alice jammert und weint, sieht ein, dass sie niemals hätte weglaufen sollen und nun, da sie verirrt ist, am besten bleibt wo sie ist, bis sie jemand findet.

Die auftretenden Figuren sind ins Lächerliche gezogen, die gesamte Geschichte wird kindgerecht serviert und funktioniert als solche nur bedingt. Unterhaltsam ist das sicher für die Kleinen, erzählt aber nicht mehr eine - relativ - stringente Handlung, wie es Dodgsons Version tut. Statt in den schönen Garten gelangen zu wollen, rennt Alice in Disney Version ständig dem weißen Kaninchen hinterher, mit welchem es paradoxerweise auch mehrfach direkt interagiert. Zudem spricht sie zu Beginn des Filmes das Wunderland als solches auch noch direkt an, bevor ihre Katze Dina das weiße Kaninchen als erste (!) erblickt und somit die psychologische Frage nach der Existenz des Wunderlandes praktisch im Vergleich zum Ende respektive der Vorlage ad absurdum führt.

Weil Dodgsons Geschichte nicht wirklich Sinn macht, ist sie etwas schwer verdaulich, viel mehr Anschauungsobjekt, denn Märchen. Disney adaptiert zwar das verrückte Wunderland, beschränkt sich jedoch auf die Charakterisierung der Verrücktheit. „Du musst verrückt sein, sonst wärst du nicht hierher gekommen“, eröffnet die Grinsekatze Alice gegenüber [Alice in Wonderland, S. 78], und in gewissem Sinne hat sie durchaus Recht. Es ist Alice, die das weiße Kaninchen sieht und es ist Alice, die all den Einwohner begegnet, keines der Geschöpfe trifft direkt auf sie. Auch ihr Abenteuer hinter den Spiegeln spricht für ihre eigene Verrücktheit, auch wenn vielleicht Phantasie eine besser gewählte Bezeichnung wäre. Wie bereits angesprochen vernachlässigt Disney jedoch die Tiefgründigkeit der sinnlosen Vorlage, sodass die eigene zelebrierte Geschichte eine sinnlose ohne jede Tiefgründigkeit ist, weshalb sie letzten Endes scheitert, leidlich unterhält und Alice in Wonderland somit zu den schwächeren Disneys, zählt.

4.5/10