30. Januar 2008

My Blueberry Nights

So what’s wrong with the blueberry pie?

Ein Mann und eine Frau sitzen sich gegenüber, sie unterhalten sich und obwohl sie einander eigentlich fremd sind, sind sie es irgendwie doch nicht. Beide kennen sich nicht oder glauben sich nicht zu kennen, da fragt der Mann die Frau nach ihrer Vergangenheit. Doch die Frau antwortet nicht, zückt stattdessen einen Stapel Karten und breitet diese auf dem Tisch vor sich aus. Wenn ihr Gegenüber die höhere Karte zieht, wird sie ihm ihre Frage beantworten. Der Mann zieht eine Karte und es ist die Kreuz Acht, während die Frau die oberste Karte wählt…das Pik As. Sie steht auf und geht. Einst saß der Mann ebenfalls vor einem Kartenspiel und verlor ebenfalls gegen das Pik As, vor einer Zeit, die lange her ist und ihm damals das Herz gebrochen hat. Und sein Herz kann auch jetzt nicht gekittet werden, denn der Augenblick ist vorüber gegangen. Wenig später wird der Mann sagen „Man erkennt eine verwandte Seele nicht, wenn man sie zu früh trifft…oder zu spät“. Es sind die Worte von Chow Mo-Wan, der einst verliebt war und nun nur noch einsam ist. Es sind die Worte einer Figur, die zu den beiden letzten Filmen von Wong Kar-Wai gehört. Mit Fa yeung nin wa spätestens gelang ihm im Jahr 2000 der Durchbruch und diese hoch gelobte Geschichte erzählte er wenige Jahre später mit 2046 weiter. Dabei ist die Geschichte noch nicht zu Ende gelangt, denn für Wong Kar-Wai zählen alle seine Filme nur als Szenen eines einzigen großen Filmes und in gewissem Sinne ist Chow Mo-Wans Zyklus noch nicht zu Ende erzählt, er hat lediglich Raum, Zeit und Ort gewechselt und bildet die Grundlage für My Blueberry Nights.

Ein Mann und eine Frau sitzen sich gegenüber, sie unterhalten sich und obwohl sie einander eigentlich fremd sind, sind sie es irgendwie doch nicht. Elizabeth (Norah Jones) kam in das Café von Jeremy (Jude Law) weil sie ihren Freund sucht, muss jedoch durch Jeremy erfahren, dass dieser sie mit einer anderen betrügt. Wutentbrannt hinterlässt sie im Café die Schlüssel zu der Wohnung ihres Freundes, erscheint dann allerdings noch in derselben Nacht, um sich nach seinem Erscheinen zu erkundigen. Sie taucht auch die nächsten Nächte in Jeremys Café auf und isst dabei jedes Mal ein Stück Blaubeerkuchen mit Vanilleeis. Doch ihr Ex-Freund lässt Elizabeth nicht los und so gibt es für ihr Problem nur eine Lösung: sie muss New York verlassen. Sie macht sich auf nach Memphis und arbeitet dort zwei Jobs gleichzeitig, begegnet dabei tagsüber in einem Café dem Streifenpolizisten Arnie (David Strathairn), der sich abends wegen seiner Frau Sue Lynne (Rachel Weisz) den Kopf zuschüttet. Es ist eine zum Scheitern verurteilte Beziehung und Elizabeth, die sich Lizzie nennt, zieht wenige Wochen später bereits wieder weiter und landet in Nevada. Auch hier arbeitet sie als Bedienung und lernt unfreiwillig die egozentrische Leslie (Natalie Portman), mit welcher sie daraufhin einige Zeit verbringt. Auch Leslie leidet unter einer zum Scheitern verurteilten Beziehung und Elizabeth, die sich Beth nennt, muss die Erfahrung machen, dass es nicht immer eine Veränderung des Charakters ist, die einen im Leben weiterbringt.

Für Wong Kar-Wai stand von Anfang an fest, dass nur Musikerin Norah Jones, ihres Zeichens mehrfache Grammy-Preisträgerin, die Hauptrolle in seinem ersten englischsprachigen Kinofilm spielen könne. Und Jones fügt sich auch bestens ein, bewerkstelligt ihre Figur problemlos neben den anderen Darstellern, die alle bereits einmal für einen Academy Award nominiert waren. Man nimmt Jones diese stur-vertrauensvolle junge Frau in jeder Minute ab, auch wenn man selbst manche ihrer Entscheidungen kopfschüttelnd in Frage stellen mag. Auch die anderen Darsteller von Jude Law bis hin zu David Strathairn spielen ihre Rollen überzeugend, selbst wenn sie nicht wirklich hineinpassen wollen in das Schema, das doch viel zu sehr amerikanisch ist, als dass es in Wong Kar-Wais Gedankenwelt Platz nehmen könnte. Gewiss, die Geschichte spielt diesmal nicht im Hongkong oder Singapur der 60er Jahre, sondern im Amerika des Hier und Jetzt, dementsprechend bunt und knallig sind meistens die Farben welche WKW für seine Blueberry Nights auswählt. Unterlegt werden diese bunten und mitunter schrillen Bilder von passender Musik der im Film auftretenden Norah Jones und Cat Power selbst, sowie hauptsächlich von Jazzmusiker Ry Cooder.

Aber irgendwie wollen Bilder, Musik und die Darsteller, bzw. die Geschichte keine richtige Symbiose eingehen, zu gekünstelt wirkt das ganze, besonders in den Memphis Szenen um Arnie und Sue Lynne. Hier beginnt man sich zu fragen, was das ganze eigentlich soll, bzw. wo WKW eigentlich mit seiner Geschichte hin möchte. Doch man erinnere sich daran, dass alle seine Filme nur Szenen eines Filmes sind und an einen weiteren Moment mit Chow Mo-Wan, in welchem er der Prostituierten Bai Ling gegenüber erklärt „Ich habe nur Zeit und die muss ich mir vertreiben“, worauf ihm die Frage gestellt wird „Und das tun Sie mit Menschen?“. Wie vertreibt sich also der chinesische Meisterregisseur seine Zeit, er tut es mit Menschen, sprich mit Schicksalen. In Memphis dreht sich alles irgendwie nicht mehr um Elizabeth/Lizzie, sondern hier ist Arnie der Star. Arnie, der die Nacht durch trinkt, um nicht an seine gescheiterte Ehe zu Sue Lynne erinnert zu werden und der tagsüber den Mann von Recht und Ordnung gibt, bis die Spannung zwischen beiden zu eskalieren droht. Wie es genau zu der Beziehung der beiden kam und wie diese Beziehung ursprünglich mal aussah, davon verrät uns WKW nichts, zumindest nichts genaues und Elizabeth ist während der ganzen Szenerie eigentlich selbst auch lediglich ein Zuschauer der Zeuge dieser Szenen einer Ehe wird. Strathairn spielt den Arnie gut, will aber nicht so recht in die Figur passen, bzw. die Figur wirkt lediglich schemenhaft, zu undurchsichtig. Wer ist Arnie, das ist die Frage die sich einem stellt und die man doch nicht richtig beantwortet bekommt. Weisz sah selten mit einem Haarschnitt heißer aus als hier, doch auch zu kann ihrer Figur nicht recht Leben einhauchen.

Dies gelingt Natalie Portman dann schon etwas besser, ihre Rolle der Leslie gleichzeitig mit einer Wildheit, als auch mit einer gewissen Verletzlichkeit rüberzubringen. Ihre Figur wirkt echt und real, passt in die Umgebung und gefällt – wären da nicht die Pokerszenen, denn diese passen einfach absolut nicht zu Leslie, bzw. zumindest nicht zu Portman selbst. Hier hätte WKW besser ein anderes Medium gewählt, in dem er Leslie als die Persönlichkeit darstellen könnte, wie er sich das gedacht hat. Im Gegensatz zu dem trostlosen Leaving Las Vegas Ambiente aus Memphis weiß die hier gewählte Thelma & Louise Thematik durchaus wieder besser zu gefallen, auch wenn hier immer noch Elizabeth im Hintergrund steht, weiterhin selbst Zuschauer ist. Wong Kar-Wai präsentiert seinem Publikum in Elizabeth eine Katharsis, die irgendwie doch keine ist, denn weiterentwickeln tut sie sich während des Filmes nicht. Sie bleibt dieselbe Person, bleibt ihrem Charakter treu und wird lediglich mit ihren Erinnerungen fertig. Die Frage ist, ob sie dies nach dreihundert Tagen nicht auch in New York selbst geschafft hätte, denn früher oder später wird jeder mit einer gescheiterten Beziehung fertig. Elizabeth, wie WKW auch eingesteht, wählt den langen und den umständlichen Weg, anstatt den einfachen zu nehmen. Eine Lektion lernt sie dabei nicht, weshalb ihr die dreihundert Tage unterwegs lediglich Erfahrung gebracht haben, aber keinen Wandel. Somit ist My Blueberry Nights nur zur Hälfte eine Geschichte über Elizabeth, bzw. Chow Mo-Wan, und zeigt dem Publikum zudem noch, dass es auch andere gescheiterte Beziehungen gibt, mit denen wir alle fertig werden müssen, um weiterzugehen im Leben.

My Blueberry Nights fehlt die poetische Subtilität eines 2046 und die bittersüße Melancholie eines Fa yeung nin wa, das Problem hierbei stellt wohl sicherlich das Ambiente, bzw. die Darsteller dar, denn so recht reinpassen nach Amerika tut WKW (bisher noch) nicht. Das Drehbuch ist gut und die Dialoge sind bedeutungsschwanger wie man es von ihm gewöhnt ist, doch der knallige Look, und der amerikanische Cast passen irgendwie nicht zu der gewünschten Melancholie von gescheiterten Beziehungen. Weisz, Law, Strathairn und Portman sind irgendwie natürlich gut, ohne jedoch wirklich ins Bild passen zu wollen, auch die Geschichte selbst will irgendwie nicht ins Bild passen, sich nicht mit dem Rest des Gesamtfilms vereinen. Das „Würdest du mit mir kommen?“ eines Chow Mo-Wan hat dem Film eventuell gefehlt, sodass My Blueberry Nights hinter seinen beiden letzten Filmes zurückfällt, ohne dabei unbedingt schlecht zu sein oder zu enttäuschen. Das größte Mysterium des Filmes bleibt jedoch seine deutsche Synchronisation, denn wieso Blaubeer-, Käse- und Apfelkuchen nicht so heißen dürfen und stattdessen mit ihren englischen Übersetzungen angesprochen werden, dass kommt mir dann doch wieder Chinesisch vor.

7.5/10

29. Januar 2008

Talk To Me

Wake up, goddammit!

Wer kennt sie nicht, die Radiomoderatoren, die zwischen den Musikeinspielungen für Unterhaltung sorgen (sollen). Im Gegensatz zu Fernsehmoderatoren haben sie in den wenigsten Fällen ein Drehbuch vor sich liegen oder einen vorgegebenen Text und sprechen daher frei nach Schnauze. Es ergibt sich daraus von selbst, dass nicht jeder Mensch zum Radiomoderator geboren ist, schließlich gilt es seine Hörer, zu denen man keinen direkten Kontakt hat, auf der Sendefrequenz zu halten. Seinen Höhepunkt hatte das Radio ohne Frage in den Zeiten, als es noch keinen Fernseher gab, bzw. sich diesen nicht jeder leisten konnte. Dagegen war ein Transistorradio billiger zu haben und stellte oftmals den einzigen Kontakt zur Außenwelt dar, sprich es hielt Informationen nicht nur über die Stadt, sondern auch über das Land parat. Und wie in den meisten Medien gibt es auch immer wieder im Radiowesen solche Menschen, die als Provokateure dienen, in den häufigsten Fällen weil sie gegen das Establishment vorgehen. Welche Bedeutung da für die Masse ein Radiomoderator haben kann, bzw. inwiefern es einer solchen Person oftmals gelingt Menschen gegen sich aufzubringen, wurde bereits in Verfilmungen von einschlägigen Erfahrungen einiger Radiomoderatoren aufgezeigt. Egal ob es sich dabei um einen bloßen exzentrischen Spaßmacher wie Howard Stern in Private Parts handelt, oder um jemanden wie Alan Berg, der durch seine sozial-gesellschaftliche Kritik Vorlage für Oliver Stones Talk Radio war, spielt dabei keine Rolle, in machen Fällen wie bei Arthur Cronauer in Good Morning, Vietnam ist es eine Mischung aus beidem.

Es gibt wohl keinen Afroamerikaner, der ein größerer Fan von Johnny Carsons Tonight Show ist, als Dewey Hughes (Chiwetel Ejiofor). Von Carson hat er sich seinen Gang und seine Klamottenwahl abgeschaut, weswegen Hughes unter seinen farbigen Mitbürgern schon fast als Weißer gilt. Als Hughes seinen älteren Bruder im Gefängnis besucht und dabei den dortigen Insassen und DJ Petey Greene (Don Cheadle) kennen lernt, will dieser einen Job bei dem Radiosender A-WOL, für den Hughes arbeitet. Anhand eines psychologischen Tricks wird Greene vorzeitig entlassen und behellt Hughes schließlich an seiner Arbeitsstelle, wird jedoch von diesem in seine Schranken verwiesen. Da der Sender sinkende Zuhörerzahlen verzeichnet und sich primär an der farbigen Bevölkerung seiner Stadt Washington D.C. ausrichtet, setzt Hughes durch, dass Greene eine Probestunde auf Sendung gehen darf, nachdem dieser tagelang vor dem Sender demonstriert hat. Auch wenn Greenes offene Art kein Blatt vor den Mund zu nehmen bei dem Chef des Senders (Martin Sheen) zuerst nicht besonders gut ankommt, findet er dennoch Gehör bei seinen Hörern. Als Reverend King einem Attentat zum Opfer fällt und sich die Stadt in einem Aufstand zu verlieren scheint, ist es Greene, der seine Brüder und Schwestern von den Strassen weg und zum Radio hinlocken kann. Seine Fangemeinde beginnt zu wachsen und Hughes sieht das Potential, welches in Greene steckt und möchte diesen zu dem größten Komiker Amerikas aufbauen. Dabei ignoriert er nicht nur Greenes eigene Wünsche, sondern auch dessen Alkoholismus.

Die an Talk To Me Beteiligten Personen sagen dem normalen Kinogänger nicht sonderlich viel, denn bisher konnten die Autoren Michael Genet und Rick Famuyiwa ebenso wenig auf sich aufmerksam machen, wie die frühere Schauspielerin und jetzige Regisseurin Kasi Lemmons. Es ist daher wohl allein Hauptdarsteller und Produzent Don Cheadle zu verdanken, dass der Film überhaupt entstand und so bekannte Kollegen wie Chiwetel Ejiofur und Martin Sheen für die Nebenrollen gewinnen konnte. Und es verwundert, wenn man sieht dass Lemmons Film in den USA lediglich 4,5 Millionen Dollar eingespielt hat, wenn man die Fangemeine von Greene betrachtet, zumindest so wie sie im Film selbst dargestellt wird. Es lässt sich also sagen, dass Talk To Me – zumindest finanziell betrachtet – ein Flop ist und auch bedeutsame Auszeichnungen konnte der Film nicht einfahren. Cheadle mag vielleicht darauf spekuliert haben eventuell zumindest eine Golden Globe Nominierung zu erhalten, doch dafür ist seine Darstellung dieser amerikanischen Radiogröße und eindimensional. Nur weil man eine historisch interessante Person spielt, wird man deswegen nicht gleich mit einer Award Nominierung bedacht. Auch Ejiofur scheint die meiste Zeit des Filmes über unterfordert zu sein, sodass Talk To Me wohl nicht mehr und nicht weniger ist als afroamerikanisches Kino für Afroamerikaner.

Das mangelnde Talent des kreativen Personals zeigt sich in einer sehr spannungsarmen Inszenierung der entscheidenden Phase von Greenes Leben, da der Film in der Mitte von Greene zu dessen Manager Hughes wechselt, ohne dabei jedoch beiden Figuren selbst ausreichend Tiefe verliehen zu haben. Dramatisch ist hierbei vor allem auch die Beleuchtung des Filmes, da Szenen in dunklen geschlossenen Räumen so schlecht belichtet sind, dass man – mit Verlaub – Cheadle und Ejiofur fast gar nicht mehr ausmachen kann. Inhaltlich gesehen kann Talk To Me nichts sonderlich interessantes bieten, da die Klimax des Films nur mäßig spannend ist und die Geschichte des Radiomoderators, der sich gegen seine Vorgesetzten stellt und bei den Hörern ankommt, weil er polarisiert, bereits ausgiebig (und besser) in den zuvor erwähnten Filmen abgehandelt wurde. Ein durchschnittlicher Film, der kaum Aufmerksamkeit finden wird und somit seine eigene Entstehung lediglich fragwürdig erscheinen lässt. Das Interessanteste scheint mir noch zu sein, wer eigentlich immer die Tipps für die Sneak postet, da diese in den seltensten Fällen, bzw. im Grunde nie zutreffend sind. „Durchdringend gedankenvoll“ ist an Talk To Me gar nichts und auch wenn man schlecht den Tipp „Durchschnittlich“ posten kann, sollte man doch etwas wählen, was mehr dem wirklichen Film entspricht, als der Meinung des Verleihers.

5/10

25. Januar 2008

Le scaphandre et le papillon

Pas panique.

Ein Mann mit gutem Aussehen, mit Witz und Charme, der viele Freunde hat, beliebt und respektiert wird, gutes Essen schätzt und auch zu seinem Vater ein warmes Verhältnis pflegt. Chefredakteur eines der besten, wenn nicht gar des besten Modemagazins Frankreichs (Elle), der es sich leisten kann nicht nur seine drei Kinder zu versorgen, sondern auch mit seinen Geliebten wegzufahren. Ein Mann der eigentlich alles hat, was man sich von einem erfolgreichen und glücklichen Leben versprechen kann – so ein Mann war Jean-Dominique Bauby, von seinen Freunden nur Jean-Do gerufen. Doch es war nicht Jean-Dos Leben, welches die Menschen beeindruckt und Kathleen Kennedy sowie Jon Kilik dazu bewogen hat einen Film über ihn zu machen. Vielmehr war es der schlimmste Schicksalsschlag im Leben von Jean-Do, der die Ausgangsbasis für Julian Schnabels dritten Kinofilm bildet, der am 27. März 2008 in den deutschen Kinos anlaufen wird. Schnabel, einst Kollege und Freund von solchen New Yorker Künstlern wie Andy Warhol und Jean Michel Basquiat, führte zum ersten Mal seit seinem Film Before Night Falls aus dem Jahr 2000 wieder Regie bei einem Film und gewann nicht nur bei den Filmfestspielen von Cannes den Preis für die beste Regie, sondern erhielt diesen auch bei den diesjährigen Golden Globes, zusammen mit der Auszeichnung für den besten fremdsprachigen Film. Bei der demnächst anstehenden Oscarverleihung ist Le scaphandre et le papillon in vier Kategorien nominiert, darunter erneut für die beste Regie, sowie für das adaptierte Drehbuch von Ronald Harwood, den Schnitt von Juliette Welfing und die Kameraarbeit des Spielberg-Spezis Janusz Kaminski.

Zwei Personen stehen in einem Zimmer, das Bild ist unscharf, die Stimmen geschwächt. Da widmen sich die beiden Personen der Kamera, die den Platz des Protagonisten eingenommen hat. Zu Beginn von Le scaphandre et le papillon nimmt der Zuschauer die Position von Jean-Dominique Bauby ein, sieht und hört alles wie es Bauby tut. Man teilt ihm mit, dass man nach dreiwöchigem Koma aufgewacht sei und bitte ihn seinen eigenen Namen zu sprechen, was Bauby tut. Als der behandelnde Arzt eintrifft erhält Bauby dann die erste Schreckensnachricht: er kann nicht mehr sprechen, seine Äußerungen sind bloße Echos in seinem Gehirn. Kurz darauf sucht ihn der Neurologe Dr. Lepage auf und erklärt Bauby dass er einen Schlaganfall erlitten habe, die Ursachen dafür seien nicht bekannt. Bedauerlicherweise gehöre Bauby zu einer seltenen Gruppe von Menschen, die unter dem Locked-in-Syndrom leiden, was bedeutet dass Bauby lediglich sein linkes Auge und seinen Kopf ein wenig bewegen kann, der Rest seines Körpers ist gelähmt. Jean-Dominique Bauby (Matthieu Amalric) muss sich nunmehr damit abfinden in seinem eigenen Körper gefangen zu sein und sich nicht ausdrücken zu können. Aus diesem Grund erhält er die Logopädin Henriette (Marie-Josée Croze) zugeteilt, die für ihn ein spezielles Alphabet ausrichtet, mit dem sich Bauby verständigen soll. Während man ihm dieses Alphabet vorliest, soll er immer bei dem Buchstaben blinzeln, denn er für seinen Wortbau verwenden will – so entsehen aus Buchstaben Wörter und aus Wörtern Sätze. Bauby beginnt sein Leben aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und entschließt sich seine Autobiographie zu schreiben. Hierfür wird ihm von seinem Verlag die Lektorin Claude Medibil (Anne Consigny) geschickt, die in geduldiger Kleinsarbeit Baubys Worte und Gedanken zu Papier bringt.

Jean-Dominique Bauby wurde am 23. April 1952 in Paris geboren und er starb am 9. März 1997 in Garchese, nur wenige Tage nach Erscheinen seines Buches Le scaphandre et le papillon. Bauby hatte die achtundzwanzig Kapitel des Buches über vierzehn Monate hinweg Claude Mendibil diktiert und wie er es in seiner Widmung richtigerweise schrieb, kann man sich das Ausmaß von Medibils Arbeit – ebenso wie der von Bauby selbst – nicht vergegenwärtigen, wenn man nicht das Buch liest oder besser noch den Film sieht. Bauby wachte jeden Morgen um 5 Uhr auf und begann sich die Absätze für sein Buch zu überlegen und schließlich auswendig zu lernen, damit er sie später Buchstabe für Buchstabe Stundenlang diktieren konnte. Am Ende sprangen nach fünfstündiger Arbeit etwas mehr wie eine Seite niedergeschriebenes Material heraus, aber was wie eine Sisyphus-Arbeit anmutet war vielmehr der Überlebenskampf eines menschlichen Geistes. An einer Stelle des Filmes wird Bauby ein Gespräch mit einem Mann führen, bzw. dieser ein Gespräch mit ihm, über einen zufälligen Vorfall vor einigen Jahren, der dennoch das Leben der beiden Männer grundlegend verändern sollte. Bauby überließ diesem Mann seinen Platz in einem Flugzeug, nichtahnend dass ebenjenes Flugzeug anschließend nach Beirut entführt werden sollte, wo der Mann dem Bauby seinen Platz überlassen hatte, vier Jahre lang als Geisel gehalten wurde. Das einzige was ihn davor gerettet hatte den Verstand zu verlieren, sei die Aufzählung von verschiedenen Weinsorten gewesen, Hauptsache das Gehirn ist beschäftigt.

Vor drei Jahren gewann Alejandro Amenábar mit seinem Film Mar adentro den Oscar für den besten fremdsprachigen Film. Amenábars Handlung behandelte die wahre Geschichte von Ramón Sampedro, der vom Hals abwärts gelähmt war und dreißig Jahre lang um die Chance auf Euthanasie gekämpft hatte. Und so ähnlich sich die beiden Filme oberflächlich gesehen sein mögen, sind sie doch grundverschieden. Sampedro, ein Mann der reden, der lachen, seine Wünsche und Hoffnungen mitteilen konnte, im Grund jedoch nichts anderes als sterben wollte, depressiv und sich als Last fühlend. Ihm gegenüber steht Bauby, gefangen in seinem Körper, als befände er sich am Grund des Meeres in einer Taucherglocke, in der er nichts hört, außer seine eigenen Gedanken und nichts sieht als die trübe Sicht vor ihm. Auch Bauby will zu Beginn nichts anderes als sterben, ist seines Lebens als Last überdrüssig, sieht aber bald darauf die Chance, die sich ihm weiterhin eröffnet und kämpft. Sicherlich hätte Jean-Do Bauby noch länger gelebt, wenn man ihm selbst die Wahl überlassen hätte, doch es war ihm nicht vergönnt. Das soll nicht heißen, dass Amenábars Mar adentro die Geschichte eines Menschen sei, der das Geschenken des Lebens nicht zu schätzen wisse, doch gerade dieser Vergleich hebt den schweren Kampf Baubys noch mehr hervor. Gegebenfalls stundenlang ein Störsignal im Fernsehen anblicken zu müssen, da man niemand herbeirufen kann um um-, bzw. abzuschalten, in eine Ecke geschoben oder behandelt zu werden, als würde man nicht existieren...ein überaus furchtbares Schicksal, wenn man selbst sich seiner Umwelt doch bestens bewusst ist und alles mitbekommt, sich selbst jedoch nicht mitteilen kann.

Besonders die erste Viertelstunde von Le scaphandre et le papillon ist von einer unglaublich eindringlichen und bisher in der Geschichte des Filmes unerreichten Intensität, wenn man das Geschehen aus den Augen von Bauby wahrnimmt. Der Zuschauer sieht und hört exakt das, was Bauby sieht und hört, einschließlich unscharfen Bildern, Farbpixeln oder etwaiger akustischer Störungen. Man ist weniger Zuschauer als vielmehr selbst Bauby und das ist in der Tat beängstigend und verstörend. Was außerhalb des Fokus ist, nimmt man nicht wahr und selbst das was sich innerhalb des Fokus befindet, zumeist nur verschwommen. Höhepunkt dieses Gefühls ist der Moment, in welchem Bauby sein rechtes, nicht mehr durchblutetes Auge (mit welchem er jedoch in jenem Augenblick noch zu sehen im Stande ist) von einem Chirurgen zugenäht wird und sich langsam die Lieder neigen und von einem Faden verschlossen werden – hier ist Gänsehaut garantiert! Zudem markiert diese Szene den ersten Kamerawechsel von der Ego-Perspektive Baubys in die des Zuschauers, jetzt erst erhält man einen Blick auf Matthieu Almaric, der insgesamt eine grandiose schauspielerische Leistung abliefert und wahrscheinlich nicht zu Unrecht im nächsten Bond-Abenteuer den Bösewicht mimen darf. Schwer vorstellbar, dass ursprünglich Schnabel-Freund Johnny Depp in die Rolle Baubys schlüpfen sollte, dann aber durch Pirates of the Caribbean davon abgehalten wurde. Almarics Darstellung ist so intensiv, sowohl in den Szenen im Berck-sur-Mer, als auch in seinen Phantasieszenen und Rückblenden, dass ihm, wie auch den anderen Darstellern und Darstellerinnen zuzuschauen ein wahres Vergnügen ist. Dabei ist alleine Max von Sydows Schauspielkunst, wenn er als Baubys Vater Papinou seinen Sohn im Krankenhaus anruft, allemal das Eintrittsgeld wert.

Bauby ist in seinem Körper gefangen wie ein Taucher am Meeresgrund in einer Taucherglocke (scaphandre). Dieses Bild wird man im Verlaufe von Le scaphandre et le papillon mehrmals auf der Leinwand sehen. Doch Bauby stellt fest, dass nicht nur sein linkes Auge ungelähmt geblieben ist, sondern auch seine Phantasie und sein Gedächtnis. Fortan beginnt er von seinem linken Auge als Schmetterling (papillon) zu sprechen, da er mit diesem aus seinem Gefängnis ausbrechen und am Leben teilnehmen kann. Jean-Do beginnt sein Leben aus einem anderen Blickwinkel heraus zu betrachten und durchschreitet dadurch eine Selbstfindung seines eigenen Charakters, lässt seine Seele über seinen Körper triumphieren. Den ursprünglich für eine moderne und weibliche Version von Dumas’ Der Graf von Monte Christo ausgearbeitete Vertrag mit dem Verlag wird nun von Jean-Do als Basis seiner Autobiographie wahrgenommen, als Forum des Ausdrucks seiner Gefühle, Phantasien und Gedanken. Selbst in seiner Krankheit bewahrt sich Bauby (s)einen Sinn für Humor und ein Gespür für Ironie, er kann über sich selber lachen, als zwei Techniker einen Witz darüber reißen, dass ihm ein Telefon mit Lautsprecher ins Zimmer gelegt wird und amüsiert sich selbst darüber, als ihm seine Physiotherapeutin eine Zungenübung zur Wiedererlernung des Schluckreflexes vormacht. Zu einem Zeitpunkt gelingt es Jean-Do sogar seinem Körper mehr Leben einzuhauchen, er kann brummen und den Kopf besser bewegen, beginnt Hoffnung zu schöpfen und der Welt mit vermehrten positiven Gedanken zu begegnen. Auch wenn es nur ein Tropfen auf dem heißen Stein bleiben sollte.

Neben die tollen Darstellungen von Amalric und von Sydow reihen sich auch die ausnahmslos attraktiven Schauspielerinnen mit ihren Leistungen ein. Neben einer fabelhaft gealterten und frisch aufspielenden Emmanuelle Seigner wissen auch Anne Consigny und Marie-Josée Croze zu überzeugen. Besonders die Szenen mit Croze sind äußerst schön geraten, sodass man sich glatt selbst in Henriette verlieben möchte. In Nebenrollen dürfen zudem französische Stars wie Emma de Caunes und einige César-Gewinner wie Patrick Chesnais, Niels Arestrup, Marina Hands und Isaach De Bankolé glänzen. Überboten werden die Darsteller und der Soundtrack lediglich noch vom Kameraspiel Janusz Kaminskis. Der Stamm-Kameramann von Steven Spielberg wurde scheinbar von Spielberg-Produzentin Kathleen Kennedy ins Boot geholt, jedenfalls zaubert er atemberaubende Bilder und Kamerafahrten zu Stande, die kongenial von Juliette Welfings Schnitt abgerundet werden. Das Zusammenspiel zwischen den Bildern und der Musik funktioniert dabei perfekt und besonders das Theme von Paul Cantelon – welches an Yann Tiersen erinnert – erzeugt ein wunderbar melancholisches Gefühl bei der Betrachtung des Gezeigten.

Ein Jahr und zwei Monate hatte Jean-Dominique Bauby im Zimmer 119 des Berck Maritime Hospital in Berck-sur-Mer zugebracht, demselben Hospital in dem Julian Schnabel auch die Verfilmung von Baubys Le scaphandre et le papillon inszenieren würde. Schnabels Film handelt von Liebe und Leben, sowie der Liebe zum Leben. Der Liebe von Vätern zu Söhnen und umgekehrt, der Liebe eines Mannes zu seiner Familie und gleichzeitig zu seiner Geliebten, die es nicht fertig bringt ihn im Krankenhaus zu besuchen und später anrufen wird, während die Mutter von Jean-Dos Kindern, Céline, anwesend ist. Es geht um Hoffnung und den Glauben an sich selbst, an sein eigenes Leben, behandelt die Kraft von Gedanken und die Stärke der menschlichen Seele. Selten hat ein Film sein Publikum so sehr an der Handlung teilhaben lassen, wie in der ersten Viertelstunde und man merkt bereits während dem Sehen, dass man Zeuge von etwas besonderen und einzigartigem geworden ist. Schnabel gelingt es sein persönliches Meisterwerk abzuliefern, mit einem Film dessen Darsteller, dessen Bilder und dessen Musik es schaffen nicht nur das einzufangen was ein Mann einmal gewesen war, sondern was er auch ist, eine großartige Geschichte über einen Schmetterling, der einer Taucherglocke entfliehen kann und zurecht mit all seinen Preisen und Nominierungen bedacht. Le scaphandre et le papillon ist Pflicht für das Filmjahr 2007 und jeden Cineasten.

10/10 - erschienen bei Wicked-Vision

24. Januar 2008

Caché

Maybe one of your fans?

Vor etwas mehr als zehn Jahren erschien ein österreichischer Film über eine Familie, die zu ihrem Ferienhaus fuhr. Dort angekommen klingelten zwei junge Männer an ihre Tür und was darauf folgte war eine tour de force der besonderen Art. Geknebelt und gefesselt wurden der Familienvater, seine Frau und sein Sohn, Opfer eines perfiden Psychospiels, welches keinerlei Grund oder Motiv fand. Oder schien dem nur so? Die beiden jungen Männer malträtierten die Familie scheinbar nur aus einem einzigen Grund: um das Publikum zu unterhalten. Mehrmals die vierte Wand durchbrechend hielt der österreichische Regisseur Michael Haneke mit seinem 1997 erschienenen Film Funny Games dem Zuschauer einen Spiegel vor sein Gesicht. Immer wieder agierten die beiden Männer nach dem altbekannten Schema von Spielfilmen, foltern ihre Opfer, lasse diesen die Chance zur Flucht, nur um sie dann doch weiter zu foltern. Nie aktueller als zu unserer heutigen Zeit, scheint diese Thematik zu sein, die ihre Renaissance in den Werken von Alexandre Aja oder Eli Roth und deren Folter-Pornos a la Hostel findet. Gewalt ist en vogue und kein einziger Tag kommt mehr ohne eine solche Meldung in den Medien aus, seien es U-Bahn- oder Marktplatz-Schläger. Gekonnt spielte Haneke mit der Angst eines gehobeneren Ferienorts und zwei Bösewichtern, die problemlos in jedem Golfclub aufgenommen hätten werden können. Dieses Jahr wird Hanekes identisches US-Remake mit Tim Roth und Naomi Watts in den Kinos erscheinen.

Vor wenigen Jahren gewann Haneke bei den Filmfestspielen von Cannes mit seinem Film Caché nicht nur den Preis für die beste Regie, sondern auch beim Europäischen Filmpreis in den Kategorien Film, Regie, Darsteller und Schnitt. Zudem wurde Caché als österreichischer Beitrag für die Academy Awards 2005 eingereicht, aufgrund der Tatsache, dass der Film auf französische gedreht wurde allerdings abgelehnt. Für Haneke selbst gab es drei Gründe den Film zu machen, wie er in einem Interview erläutert hatte. Der erste dieser Gründe war Daniel Auteuil, mit dem Haneke schon lange zusammenarbeiten wollte und dem er Caché daher auf den Leib schrieb. Zudem kam als zweiter Grund, dass Haneke schon lange einem Film machen wollte, der sich mit Schuldgefühlen eines Erwachsenen beschäftigt, die in dessen Kindheit verankert waren. Der dritte und letzte Grund für die Entstehung von Caché war das Pariser Massaker vom 17. Oktober 1961, bei dem über zweihundert Algerier getötet wurden und das Haneke nicht ausreichend thematisiert in Frankreich fand. Besonders Lob fand der Film, der gänzlich ohne Musik auskommt, wegen seines Brecht’schen Verfremdungseffektes, der den besonderen Reiz des Erlebnisses von Caché ausmache. Da sich Haneke strikt an sein eigenes Drehbuch hielt, gab es leichte Probleme am Set mit seiner Hauptdarstellerin Juliette Binoche, welche sich mehr Interpretationsfreiheit für ihre Rolle gewünscht hätte. An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass der letzte Absatz Spoiler enthält.

Georges Laurent (Daniel Auteuil) ist Fernsehmoderator und mit der Lektorin Anne (Juliette Binoche) verheiratet. Das Leben der beiden wird erschüttert, als sie eine zweistündige Videoaufnahme einer Frontalansicht ihres Hauses erhalten. Wer hat die Kassette geschickt und zu welchem Zweck? Was sich für Georges wie ein Streich anfühlt, wird kurz darauf mit anonymen Anrufen bei Anne wieder zum Ernst. Den Anrufen folgt eine weitere Kassette, diesmal mit einer Zeichnung eines Blut spuckenden Jungen begleitet. Als Georges und Anne die Polizei aufsuchen, kann diese ihnen nicht weiterhelfen. Solange niemand zu schaden kommt, können sie nichts machen. Währenddessen beginnen zwischen Georges und Anne die Emotionen hoch zu kochen, verstärkt wird das ganze durch das Eintreffen eines neuen Videos mit einer neuen Zeichnung. Ein Hahnkopf inklusive Blut begleitet eine Videoaufnahme aus einem Auto heraus, die auf einem Bauerngut endet. Doch hierbei handelt es sich um kein gewöhnliches Bauerngut, sondern um das ehemalige Bauerngut von Georges’ Eltern. Als Georges seine Mutter daraufhin besucht, beginnen sich erste Verdachtsmomente in ihm zu hegen, die mit einem neuerlichen Videoband bestärkt werden. Nunmehr hat Georges eine Adresse und diese sucht er alleine auf, die verstörte Anne nicht in seine Verdächtigungen oder Hintergründe einweihend. Als Georges zu der besagten Adresse fährt, trifft er auf einen Menschen, den er aus seinem Leben verbannt hatte und den ein Geheimnis begleitet.

Haneke bedient sich in Caché vieler langer und ruhiger Einstellung, oftmals handelt es sich hierbei um diejenigen des Videobandes, sodass man sich praktisch in der Position des Filmers befindet als Zuschauer. Und es gelingt Haneke auch zu Beginn des Filmes eine gewisse Spannung auf der Unsicherheit der Laurents heraus zu erzeugen, die dann erneut verstärkt wird, als Georges seinem Verdächtigen gegenübersteht. Das große Geheimnis aus Georges Leben ist irgendwie keines, denn das, was er in seiner Kindheit verbrach, kann man schwerlich als Schuld sehen, zumindest nicht als solche, wie man sie durch die Inszenierung des Filmes erwartet. Bitter aufstoßen tut auch, dass der Film keine Auflösung hat, kein Ende und keinen Anfang – seine Handlung verläuft im Prinzip ins Leere. Es wird nicht aufgeklärt, wer die Videobänder aufgenommen hat und was er damit bezweckt. Die plötzliche Heimsuchung von Georges mit dessen Schuld nach vierzig (!) Jahren macht inhaltlich überhaupt keinen Sinn, vor allem da es sich scheinbar um einen anderen Täter handelt, wie zuerst impliziert worden ist. Man stelle sich vor, jemand macht einen Film darüber, wie eine Person einen Kuchen backt und ihn am Ende in den Ofen stellt. Es wird nicht gesagt wofür der Kuchen ist und ob er gelingen wird, alles was man sieht ist die Entstehung des Kuchens. So ein Film hätte keinen Punkt, weil keinen Sinn und ähnlich verhält es sich mit Caché. Seine psychologische Tiefe, mit der Haneke noch zu Beginn spielt, wenn man nicht weiß, wer was und wieso, verliert spätestens am Ende, wenn man merkt, dass es auf wer was und wieso keine Antworten gibt. Was viele Kritiker als genial bezeichnen mögen, ist am Ende bedauerlicherweise nicht mehr als viel Lärm um Nichts.

4.5/10

22. Januar 2008

El orfanato

Tonight's my turn.

Zutaten für einen vermarktbaren Horrorfilm: 1. Man nehme entweder ein Remake (Vorlage erster Wahl wäre japanisch) oder organisiere sich einen bekannten Genreregisseur als Produzenten 2. die Hauptrolle ist mit einer Frau, wenn möglich attraktiv zu besetzen 3. sehr gut eignen sich verstörte Geisterkinder oder solche mit einem Makel, bzw. Merkmal 4. diese Kinder sollten vor mehreren Jahrzehnten von ihren Eltern oder einer anderen, nahe stehenden Person umgebracht worden sein 5. Diese Kinder sind nicht böse, sondern werden lediglich falsch verstanden, die Auflösung des Filmes kommt durch eine Annäherung zwischen Protagonistin und Geisterkind zu Stande. Fertig ist das Horror-Film Rezept, offen auf dem Markt zugänglich und inzwischen weithin verbreitet. Missverstandene, weil umgebrachte, Geisterkinder sind en vogue. Wer kann sich auch schon gegen diese kleinen, bleichgesichtigen Racker verwehren, besonders wenn sie verdrehte Gliedmaße haben. Seien es Ju-on bzw. The Grudge oder Ringu bzw. The Ring, Kinder und Horror funktionieren bestens. An American Haunting gab es letztes Jahr, in der Sneak lief in selbigem auch der Indie-Horror The Sick House (der im übrigen immer noch keinen richtigen Starttermin hat). Gut vermarkten lassen sich solche Horrorfilme auch immer dann, wenn jemand aus Hollywood seinen Namen sprichwörtlich plakativ hergibt. Quentin Tarantino präsentiert Hostel oder Michael Bay präsentiert jedes andere Horrorremake – da lässt man es sich im spanischsprachigen Kino natürlich nicht nehmen, das neue Wunderkind Guillermo del Toro nach seinem Welterfolg mit El laberinto del fauno als Paten zu gewinnen. Del Toro, der selbst einst mit El espinazo del diablo einen Geisterkind-Horror ablieferte, gibt nunmehr seinen Namen für den spanischen – richtig! - Geisterkind-Horrorfilm El orfanato her.

Einst war Laura (Belén Rueda) ein Waisenkind, welches mit fünf anderen Kindern in einem Waisenhaus lebte. Bis Laura adoptiert wurde. Jetzt ist Laura nicht nur erwachsen, sondern auch verheiratet mit dem Arzt Carlos (Fernando Cayo) und beide haben den HIV-infizierten Simón (Roger Princep) adoptiert. Und weil Laura so ein gutes Herz hat, ist sie mit ihrer Familie zurück in das leerstehende alte Waisenhaus gezogen, weil sie daraus ein Heim für behinderte Kinder machen will. Eine enge Beziehung hat sie zu ihrem Sohn Simón, der nicht viele Freunde hat, bzw. nur zwei, und die sind auch lediglich erfunden. Bei einem Ausflug zum Strand lernt Simón dann einen neuen, unsichtbaren Freund, Tomas, kennen. Mit diesem und fünf anderen unsichtbaren Kindern spielt Simón fortan lustige Schnitzeljagdspiele, zieht sich dabei jedoch allmählich den Ärger seiner Mutter auf sich. Der Disput der beiden eskaliert, als Simón seiner Mutter am Tag der Heimeröffnung das kleine Haus von Tomas zeigen will, diese jedoch keine Zeit hat. Nach einem scheinbaren Angriff von Tomas auf Laura, ist Simón unauffindbar. Laura selbst verdächtigt eine alte Sozialarbeitern, die damals kurz nach dem Einzug auf dem Grundstück auftauchte. Trotz eindringlicher Suche der Polizei lässt sich Simón nicht auffinden, nach neun Monaten schaltet Laura daher einen Fachmann für das Paranormale und ein Medium (Geraldine Chaplin) ein – welche ihr schließlich offenbart, dass sie sich auf das Spiel der Kinder einlassen soll. Gegen den Unmut von Carlos verbarrikadiert sich Laura allein im Waisenhaus und trifft ihre Vorbereitungen für das Spiel mit den Kinder um Simón. Man stelle sich vor, jemand backt einen Apfelkuchen nach einem vorgegebenen Rezept und dann backt jemand anderes einen Apfelkuchen, aber nach demselben Rezept und so weiter und so fort. Das Rezept des Apfelkuchens bleibt immer dasselbe, daher werden alle Apfelkuchen im Prinzip auch jedes Mal gleich schmecken. Natürlich schmeckt der eine etwas besser und der andere war vielleicht zu lang oder zu kurz im Ofen, aber eigentlich unterscheiden sich die Kuchen lediglich im Detail, im Geschmack.

Man stelle sich vor, man hat so einen Apfelkuchen bereits gut ein halbes Dutzend Mal gegessen, und bekommt nun erneut einen solchen Apfelkuchen vorgesetzt. Ganz genau, man weiß bereits wie er schmeckt und im Grunde hat man überhaupt keine Lust ihn überhaupt zu probieren. Dieser Apfelkuchen ist El orfanato. Dabei ist der Film so spannend, wie es The Others nach The Sixth Sense gewesen ist. J.A. Bayona präsentiert einen total vorhersehbaren Film, der nur von seinen musikalischen Schockelementen lebt. Spult man bei diesen die Lautstärke um fünfzig Prozent herunter, hat man gute Chancen bereits nach den ersten 20 Minuten eingeschlafen zu sein, denn Spannung erzeugt der Film bedauerlicherweise nicht. Wieso del Toro für so etwas seinen Namen hergibt, ist nicht ersichtlich, einzige Möglichkeit findet sich wohl in seinem Patriotismus, nach dem Motto „Latinos müssen zusammenhalten“. Dabei spielen die Darsteller, was man ihnen lassen muss, ihre Rollen durchaus gut und glaubhaft, lediglich die Musik, und das vorhersehbare Drehbuch sind ein Dorn im Auge, enttäuschend wie Regisseur J.A. Bayona den Film nach Schema F herunterspielt und sich derselben Methoden bedient wie allgemein im Genre üblich. Es wäre gelogen, wenn man behauptet, dass aus der Handlung mehr herauszuholen gewesen wäre, denn das stimmt nicht. Die Handlung ist einfach so ausgelutscht wie ein Schweizer Hustenbonbon und hat ihre Innovativität bereits nach Ringu verloren gehabt.

2/10

19. Januar 2008

Sweeney Todd - The Demon Barber of Fleet Street

I will have vengenance. I will have salvation.

Ein Mann, zu Unrecht verurteilt, um von einem Konkurrenten um die Gunst seiner Frau willen ausgeschaltet, kehrt unerwartet durch Flucht in seine Heimatstadt zurück. Unter falschem Namen macht er sich auf, um seine ehemaligen Peiniger zu vernichten, sich an diesen zu rächen, allen voran der Person, die inzwischen sein eigenes Kind als das eigene großzieht. Eine Rachegeschichte, die nicht nur Sweeney Todd eigen ist, sondern markiert auch das Thema von Alexandre Dumas’ The Count of Monte Christo, welches 1844 erschien und selbst Vorlage 1919 für die Geburt von Zorro war, in welchem sich eine ähnliche Rachegeschichte abspielte. Das Sweeney Todd Inspiration für Dumas gewesen sein könnte ist dabei, auch wenn es naheliegend scheint, auszuschließen, denn in seinem Ursprung drehte es sich bei Sweeney Todd um eine Geschichte mit anderen Motiven. Hin und wieder wird behauptet, dass es Sweeney Todd tatsächlich gegeben haben soll, damals im London des 18. Jahrhunderts und ganze 160 Morde sollen auf sein Konto gegangen sein. Allgemein geht man jedoch davon aus, dass er seine Geburt 1846 in der Geschichte The String of Pearls: A Romance von Thomas Peckett Prest gefunden haben soll. Damals drehte sich noch alles hauptsächlich um das Verbrechen und der Gewinn, der daraus erzielt wurde. Viele Theateraufführungen wurden von Sweeney Todd inspiriert, sein endgültiges Format, inklusive der Einbeziehung und Konzentrierung auf Benjamin Barkers Rache, verdankt das Stück jedoch erst dem Bühnenstück von Christopher Bond aus dem Jahr 1973.

Um 1800 nähert sich ein Schiff der in Dunkel gehüllten Stadt London. Ein junger Mann schwingt sich beseelt ins Bild in heller Vorfreude auf London, als er von einem älteren Mann zurückbeordert wird. An London sei nichts schönes, der Abschaum der Gesellschaft sei dort beheimatet. Es handelt sich um einen Mann um seine vierzig, mit einer wilden dunklen Löwenmähne, einzig an seiner rechten Seite durchzogen, einer Narbe gleich, von einer grauen Strähne. Dieser Mann ist Sweeney Todd (Johnny Depp), hieß jedoch einst Benjamin Barker und war Barbier in London, mit einer hübschen Frau und neugeborenen Tochter. Doch er wurde Opfer eines Verbrechens, das er nicht begangen hatte und zu lebenslanger Zwangsarbeit nach Australien verbannt. Seinen Ursprung fand diese Tat in dem selbstgerechten Richter Turpin (Ala Rickman), welcher Barkers Frau begehrte und diesen aus dem Weg schaffte. Doch es gelang Todd nach fünfzehn Jahren auf einem selbstgebauten Floß zu entfliehen und so wurde er von Anthony, dem jungen Matrosen, gerettet und kehrt nunmehr zurück - zurück nach London. Todd macht sich auf in die Fleet Street und zieht zurück in seine alte Wohnung über der Bäckerei der verschrobenen Mrs. Lovett (Helena Bonham Carter) - dort plant er seine Rache, nicht nur an Richter Turpin und dessen Handlanger Beadle (Timothy Spall), nein, seine Rache an der ganzen Gesellschaft.

Ebenjenes Bühnenstück begeisterte dann den Komponist und Texter Stephen Sondheim, der die Geschichte von Sweeney Todd 1979 in ein blutiges Horror-Musical verwandelte, welches nunmehr die Grundlage für Tim Burtons Adaption bildete, die in den USA für vier Golden Globes nominiert und mit zwei von ihnen, darunter dem Besten Hauptdarsteller und den Besten Film in der Kategorie Musical oder Komödie, ausgezeichnet wurde. Sondheim, der zu den wenigen Menschen gehört, die sowohl den Oscar, wie auch den Tony, Emmy, Grammy und Pulitzer-Preis gewonnen haben, war eng in die Arbeit an der Filmversion von Sweeney Todd eingebunden. Er lieferte nicht nur die Musik und komprimierte sein dreistündiges Musical auf einen zweistündigen Film, sondern hatte auch das letzte Wort bezüglich der beiden Hauptdarsteller und des Regisseurs. Für Sondheim gab es jedoch keinen idealeren Regisseur als Tim Burton, der letzen September in Venedig für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde. Burton, bekannt für seine düsteren, aber phantasievollen Filme, gibt zu, kein großer Musical-Fan zu sein, dennoch, oder vielleicht gerade deswegen, gefiel ihm Sweeney Todd so gut. Schließlich ist Sweeney Todd kein gewöhnliches Musical, von dem die Zuschauer ein Happy End erwarten, sondern hier fließt das Blut nur so in Strömen in den dunklen und finsteren Gassen des Londons aus dem 19. Jahrhundert. Und gerade dies bereitete Burton auch Sorge, als er mit dem Stoff an das Studio herantrat, ein Musical mit einer Jugendfreigabe von 16 Jahren und einer gehörigen Menge Blut zu inszenieren.

Es irritiert, wenn man liest, das zu Beginn noch mit dem Gedanken gespielt wurde, Sam Mendes Regie führen zu lassen mit Russell Crowe in der Hauptrolle, denn es gibt wirklich keinen anderen Regisseur, der so gut Sondheim und Bonds Vorstellungen in Bildern einfangen kann, wie Tim Burton. Und wer Tim Burton kennt, der weiß auch, dass niemand Sweeney Todd so darstellen konnte, wie es Johnny Depp gelingt. Sweeney Todd stellt dabei die sechste Kollaboration zwischen Burton und Depp dar, so wie das gesamte Set nur so von eingespielten Mitarbeitern wimmelte. Auch wenn Burton Stamm-Komponist Danny Elfman diesmal Stephen Sondheim weichen musste, ist dennoch wie immer Chris Lebenzon für den Schnitt und Colleen Atwood für die Kostüme zuständig. Auch die Produzenten des Filmes haben bereits mit Burton und Depp zusammengearbeitet, Hauptproduzent Richard D. Zanuck, verantwortlich für solche Filme wie Jaws oder die Planet of the Apes-Serie, arbeitet in Sweeney Todd bereits das vierte Mal hintereinander mit Regisseur Burton zusammen. Zu dieser Burtonschen Crew stießen dann die Gladiator-Produzenten Walter Parkes und Laurie MacDonald, die gleich den zweifach für den Academy Award nominierten Autoren John Logan mit ins Boot holten. Hinter der Kamera stand der Mann, der eigentlich für die Filme von Gore Verbinski zuständig ist, Dariusz Wolski scheint eventuell durch Mondpropaganda von Johnny Depp, der mit ihm bei der Pirates of the Carribean-Trilogie zusammen gearbeitet hat, an Burtons Set gekommen zu sein. Dieses wurde wiederum Dante Ferretti, der einst Altmeister Federico Fellini unterstand, gebildet.

Für die Leinwandadaption musste Sondheims dreistündiges Musical fraglos gekürzt und gestutzt werden und so gehen viele sekundäre und tertiäre Handlungsebenen in Burtons Adaption verloren, die sich weniger auf die Liebesgeschichte zwischen Johanna und Anthony, als auf Sweeney Todd und wie er sich in seiner Rache verliert konzentriert. Wer eine direkte Umsetzung von Sondheims Stoff erwartet, wird ohne Zweifel enttäuscht sein, denn Burton und Logan fokussieren sich ganz auf das neue Gesicht von Benjamin Barker, mit Abstrichen noch auf die unerwiderte Liebe gegenüber Mrs. Lovett. Alles dreht sich mehr um die Charaktere, Elemente des Musicals, in der die Menge mitsingt, wurden entfernt, die Handlung komprimiert und auf das essentielle der Geschichte reduziert, die Thematik der klassischen Tragödie. Wie Habgier und Ehrgeiz funktioniert auch die Rache - am Ende geht der Protagonist an ihr selbst zu Grunde, da er nicht mehr anderes sieht, als das Objekt seiner Begierde. Sweeney Todd korrumpiert das Potenzial, dass ihm die Romanze mit der einsamen Mrs. Lovett bietet, anstatt dass diese beiden Menschen ihre Chance nutzen, zerstören sie sich letztendlich gegenseitig. Viele Nuancen tastet Burton lediglich an, den Rest des Weges lässt er den Zuschauer alleine gehen und so fügt es sich für das Publikum gedanklich zusammen, wenn Mrs. Lovett Sweeney Todd seine Rasiermesser wiedergibt, die sie alle die Jahre seiner Abstinenz unter einer Diele versteckt hatte, in der Hoffnung er würde zurückkehren.

Mrs. Lovett liebte also bereits Benjamin Barker und jetzt auch Sweeney Todd - was eigentlich paradox ist, da es sich prinzipiell um sein grundsätzlich verschiedene Menschen handelt. Der eine lächelnd und warmherzig, verliert alles in seinem Leben und so, für sich, auch sein Leben. Benjamin Barker ist tot und alles was Sweeney Todd interessiert, ist Rache. Rache stellt den einzigen Grund dar, weswegen Todd überhaupt existiert und so würdigt er andere Menschen wie Toby oder später auch seine eigene Tochter, keines weiteren Blickes. Auch Mrs. Lovett schaut er erst dann richtig an, als er in ihrer eine nützliche Komplizin sieht. Diese Kaltherzigkeit macht Todd jedoch zu keinem grausamen Menschen, sondern eigentlich - und so ist die Figur auch von Burton und Depp angelegt - zu einem Opfer, wahrscheinlich sogar zu dem Opfer im Film. Sweeney Todd ist im wahrsten Sinne des Wortes eine absolut klassische Figur, mit einer einfachen und doch menschlichen Prämisse: Rache. Eine Wiedervereinigung mit seiner Tochter steht nicht zur Debatte, ein glückliches Leben am Meer mit Mrs. Lovett und ihrem Gehilfen Toby bleibt letzten Endes nichts als eine bitter-süße Illusion. Todd will lediglich eines und das ist Richter Turpin in seinem Stuhl, mit seiner Kehle an der Rasierklinge. Hier kommt ihm jedoch die Liebesgeschichte zwischen Anthony und Johanna dazwischen und Todd verpasst seine Chance und muss sich diese erst wieder erarbeiten, während er Stück für Stück mehr in den von ihm selbst geschaffenen Wahnsinn abgleitet, dabei Opfer um Opfer nach sich ziehend.

Burton erschafft ein düsteres und dunkles London, setzt mehr auf Studiokulissen, als auf zeitgenössische digitalen Effekte. Hier kam Dante Ferretti ins Spiel, der neben Federico Fellini bereits die Kulissen für u.a. Martin Scorseses Gangs of New York erschaffen hat. Kim Newman vom Empire Magazin beschrieb Tim Burtons London als eine Gotham City Version der alten Stadt an der Themse und dieser Vergleich ist nicht einmal so abwegig. Dem Regisseur kam es dabei weniger auf historische Genauigkeit an, als darauf ein stilisiertes Märchen zu erzählen. Es braucht also nicht zu verwundern, wenn man die Tower Bridge sieht, auch wenn diese erst sehr viel später gebaut wurde - Burton geht es darum eine Atmosphäre zu schaffen und dies gelingt ihm und Ferretti exzellent. Hinzu kommen die grandiosen Kostüme von Colleen Atwood, die ebenso wie die Bilder von Dariusz Wolski ausschließlich in Schwarzweiß gehalten zu sein scheinen, um ebenjenes Flair eines alten schwarzweißen Hollywood-Horror-Films a la Son of Frankenstein zu erschaffen. Dieser Schwarzweiß-Ton wird immer nur dann unterbrochen, wenn Burton sein Filmblut einsetzt, welches in Sweeney Todd nicht gerade spärlich fließt. Ausgesprochen gelungen ist die Kameraarbeit von Wolski, die ihren Höhepunkt in einer raschen Fahrt zu Beginn durch die Straßen Londons hinüber in die Fleet Street findet, gekonnt geschnitten wurde das ganze dabei von Chris Lebenzon. Hier wurde in der Tat von allen Beteiligten bei einem Budget von fünfzig Millionen US-Dollar das Maximum des möglichen herausgeholt, dass Aussehen des Filmes könnte wahrlich nicht besser sein.

Sweeney Todd würde jedoch nicht funktionieren, wenn Sondheims atemberaubende Musik nicht wäre. Musik, wie sie damals zuvor noch nie in Musical aufgetreten ist und in Szenekreisen als unglaublich schwere Partitur angesehen wird. Insofern lässt es sich nicht anders als mutig beschreiben, dass Burton alle seine Hauptfiguren mit Schauspielern besetzt hat, die zuvor nie als Sänger oder Sängerinnen aufgetreten sind. Schaut man sich das Endergebnis an, kann man nicht anders, als Burton und Sondheim zu applaudieren, denn nicht nur Johnny Depp überzeugt stimmlich, sondern auch Helena Bonham Carter und die Nebendarsteller Alan Rickman und Komiker Sacha Baron Cohen. Wunderschön komponiert und getextet haben Sondheim und Logan die ausgewählten Stücke für den Film und die Melodien klingen noch lange nach dem Kinobesuch in den Köpfen der Zuschauer weiter - nicht wenige dürften sich hinterher den Soundtrack kaufen und zu Hause erneut anhören. Stimmlich müssen sich Depp und Carter jedoch keineswegs vor George Hearn und Angela Lansbury verstecken, begeistern dagegen sogar ein ums andere Mal mit ihrem Duetten. Auch schauspielerisch agieren sie blind miteinander, die anderen Darsteller fügen sich in das Gesamtbild nahtlos ein und einem Alan Rickman gelang es seit jeher ganze Sätze mit einem bloßen Blick seiner Augen auszudrücken.

Eigentlich fällt einem an Sweeney Todd nicht negatives auf und doch befriedigt der Film nicht ganz. Wer Tim Burton kennt, der weiß, dass seine Filme und dieses gewisse Etwas begleitet, diese Spur Burtonschen Charmes, ein Funken Magie, der Big Fish oder Sleepy Hollow zu etwas besonderem machte. Dieser Funke Magie fehlt Sweeney Todd, auch wenn er hier und da aufblitzt, zum Beispiel in Mrs. Lovetts Fantasysequenz, die meisten Stellen des Filmes sind jedoch düster und dunkel, sowohl von der Farbe, als auch von der Stimmung. Hinzu kommt, dass die Geschichte nichts sonderlich neues präsentiert, eben da Dumas sie bereits - wenn auch weniger blutig - in seinem Count of Monte Christo abgehandelt hat und Burton die restlichen Handlungsstränge beschneidet. So bleibt die Figur des Richters Turpin die ganze Zeit über im Dunklen und das Publikum erfährt nichts über seine Motivation oder über seine Hintergründe, wie es beispielsweise bei August Ego in Pixars Ratatouille der Fall gewesen ist. Irgendetwas muss passiert sein, um Turpin in den Mann zu verwandeln, der er nunmehr ist, aber was das war, erfährt man nicht. Auch die anderen Figuren müssen hinter Sweeney Todd zurückstecken und so offeriert Cohen nichts als einen kurzweiligen und im Grunde nichtssagenden Auftritt, der lediglich die Re-Etablierung Todds als Barbier in London nach sich ziehen soll. Dies alles sind jedoch lediglich Punktabzüge in der B-Note, was am Ende bleibt ist ein atemberaubendes Musical und einer der großen Filme von 2008, ohne Frage sehenswert, wenn nicht gar Pflicht.

7.5/10 - erschienen bei Wicked-Vision

18. Januar 2008

The Kite Runner

For you, a thousand times over.

Geschichten von Schuld und Sühne verkaufen sich gut, denn schließlich steckt in jedem von uns ein kleiner Teufel, der bei Gelegenheit freigelassen wird. Manchmal lügen wir oder weichen jemandem gezielt aus, lästern hinter dem Rücken des Chefs oder begehen gedanklich Ehebruch mit dem Partner. Und doch schimpft sich die Mehrheit der Welt religiös und lebt dennoch nicht nach ihren Grundsätzen. Schuld ladet sich jeder in seinem Leben auf, der eine mehr, der andere weniger und der Akt eine Schuld zu begehen, ist ein rein menschlicher. Und da er so menschlich ist, ist es geradezu ausgeschlossen, einen solchen Akt in seinem Leben nicht zu begehen. Das Entscheidende ist jedoch, seine Tat zu bereuen, Sühne zu üben, denn nur dann, kann man in Frieden leben, mit seiner Umwelt, am wichtigsten jedoch mit sich selbst. Natürlich gibt es auch solche reuelosen Menschen, deren Seele verrottet ist und die so etwas wie Sühne oder Schuld nicht kennen, die restlichen Menschen leben jedoch solange mit ihrer Schuld, bis sie diese sühnen. Schuld und Sühne ist also ein durch und durch menschliches Thema, gerade erst hat mit Atonement eine Adaption den Golden Globe als Bester Film gewonnen, die ebenfalls von Schuld und Sühne handelt. Im Jahr 2003 erschien in den Vereinigten Staaten von Amerika eine neue Geschichte über Schuld und Sühne, geschrieben von einem afghanisch-stämmigen Amerikaner und Anästhesisten, Khaled Hosseini. Nur zwei Romane wurden im Jahr 2005 in den USA häufiger verkauft, als Hosseinis The Kite Runner (dt. Drachenläufer), jetzt ist im Kino die Verfilmung gestartet.

San Francisco, Sommer 2000: Der afghanische Romanautor Amir (Khalid Abdalla) erhält einen Anruf aus Pakistan von Rahim Khan, einem ehemaligen Freund seines Vaters aus alten Zeiten in Kabul. Rahim Khan bittet Amir nach Pakistan zu kommen, es wäre sehr dringend, Rahim Khan schließt das Gespräch mit den Worten „Es gibt eine Möglichkeit, es wieder gut zu machen“. Schweren Herzens verabschiedet sich Amir von seiner Frau Soraya (Atossa Leoni), denn Amir weiß ganz genau, was Rahim Khan mit seinen letzten Worten gemeint hat. Damals, im Winter 1975 in Kabul, hat Amir etwas getan, bzw. etwas nicht getan, was ihn den Rest seines Lebens verfolgen sollte. Als Amir (Zekeria Ebrahimi)zwölf Jahre alt ist, lebt er mit seinem reichen und einflussreichen Baba (Homayoun Ershadi) im Kabuler Wazir-Akbar-Khan Viertel und bereitet sich mit seinem Freund Hassan (Ahmad Khan Mahmidzada), der zugleich sein hauseigener Diener ist, da er zu der unterwürfigen Rasse der Hazara gehört, auf das traditionell-jährliche Drachen-Turnier vor. Für Amir hat das Turnier eine entscheidende Bedeutung, kann er mit einem Sieg doch seinem Baba beweisen, dass er nicht so schwach und armselig ist, wie dieser von ihm denkt. In der Tat gelingt es ihm im Drachenkampf zu obsiegen und Hassan eilt als Drachenläufer aus, ihm den Siegesdrachen als Trophäe zu ergattern. Amir folgt Hassan schließlich und findet diesen in einer Straßenecke von dem gleichaltrigen, aber soziopathischen Assef und seinen zwei Freunden drangsaliert. Aus Loyalität zu Amir verweigert er Assef den Drachen und wird daraufhin vergewaltigt – statt einzuschreiten, schaut Amir jedoch doch nur zu und fortan soll sein Leben nie mehr das gleiche sein, wie zuvor.

Hosseini gelang mit seinem Debütroman ein Stück wundervoll-melancholischer Literatur, voller Schmerz und Leid, nur mit Anflügen von Hoffnung hier und da. Ein Stück über Schuld und die daraus resultierende Sühne, zugleich ein Beispiel dafür, wie selbst aus Sühne noch neue Schuld entstehen kann. Viel fokussiert sich im Roman auf die Beziehung zwischen Amir und Baba in der Kabuler Zeit. Amirs Mutter starb bei seiner Geburt und wir viele Kinder, deren Mütter bei der Geburt starben, macht auch er sich schwere Vorwürfe deswegen. Amir fehlt die Begeisterung und Leidenschaft für die Hobbys und Interessen seines Vaters, er interessiert sich nicht für Fußball und ihm wird schlecht beim Autofahren. Zudem hält Baba seinen Sohn für verweichlicht, denn Amir wehrt sich nicht gegen andere Kinder, wenn diese ihm sein Spielzeug wegnehmen. Sein mangelndes Selbstbewusstsein lebt der wohlhabende Paschtune an seinem Diener Hassan aus, der zur verachteten Rasse der Hazara zählt. Da Hassan nicht lesen kann, obliegt es Amir ihm Geschichten und Märchen vorzutragen. Gerne verändert Amir jedoch die Geschichten oder zieht den ungebildeten Hassan mit seiner fehlenden Kenntnis von Fremdwörtern auf. An einem Tag zwingt Amir Hassan beinah Dreck zu fressen, fasziniert von dessen Loyalität ihm gegenüber, der Amir immer nur höflich mit „Amir Aga“ anspricht. Besonders eifersüchtig ist Amir auf die Zuneigung seines Vaters gegenüber Hassan, die scheinbar größer ist als die zu Amir.

Amir leidet sehr unter der fehlenden Nähe zu seinem Vater und sieht nur in einem Sieg beim Drachenkampf-Turnier die Möglichkeit in den Augen seines Vaters etwas zu erreichen. Hassan weiß das und deswegen – zusammen mit seiner Loyalität – lässt er Assef walten. Amir sieht zu, traut sich nicht einzuschreiten und wird dies den Rest seines Lebens büßen. Fortan ist es um die Freundschaft der beiden geschehen, Amir provoziert Hassan, er sucht, er verlangt geradezu nach einer Bestrafung für sein Verhalten – bekomm sie jedoch nicht. Da es Amir mit seiner Schuld nicht länger aushält, aber nicht sühnen kann, ladet er sich mehr und mehr Schuld auf, bis es irgendwann zu einem klaren Schnitt kommt, zu einer letzten großen Schuld. Nachdem Hassan und dessen Vater aus ihren Leben verschwunden sind, und sie selbst aus dem von Sowjets besetzten Kabul nach Amerika fliehen, beginnen sich Baba und Amir als Vater und Sohn einander anzunähern. Viel dreht sich in Hosseinis Geschichte um Afghanen und ihren Glauben, ihre Religion, ihr Lebensverständnis. Immer spielt nang und namoos, Ehre und Stolz, eine große Rolle. Im Alltag und besonders im Umgang mit Frauen. Als Amir in den USA mit Soraya die Tochter eines ehemaligen afghanischen Generals kennen lernt, merkt er, dass ein Afghane seiner Kultur nicht entfliehen kann, nicht einmal in Freemont, Kalifornien. Er und Soraya heiraten, auch wenn sich diese selbst Schuld in ihrer Vergangenheit aufgeladen hat – doch Amir vergibt ihr, da er selbst weiß, was es heißt sich eine große Portion Schuld aufzuladen. Immer wieder wird er an Hassan denken.

All diese Punkte und Motive tauchen im Drehbuch von David Benioff bedauerlicherweise nicht auf. Sträflich werden alle Szenen mit emotionalem Tiefgang, die für die Handlung von Bedeutung sind, ausgelassen. Stattdessen hangelt sich Benioff von einer oberflächlichen Situation zur nächsten, erzählt die Geschichte nicht chronologisch, sondern wie es ihm gerade in den Kram passt. Die problematische Beziehung zwischen Amir und seinem Vater wird dabei genauso wenig thematisiert – bzw. in einem einzigen Satz abgehandelt – wie die Tatsache, dass Hassan mehr Amirs Diener ist, als dessen Freund. Genauso wenig sticht heraus, dass Assef ein Soziopath ist, was seinen Ursprung nicht nur in dessen Reichtum findet, sondern auch darin, dass seine Mutter eine Deutsche und er selbst deswegen so hoch gewachsen ist. Seine Herkunft bringt ein Interesse und schließlich eine Faszination für Hitler mit sich, doch das alles geht bei Benioff unter, hier ist Assef nur irgendein Schläger von der Strasse. Auch die Bedeutung von Hassan und Ali für Amirs Vater und die daraus resultierenden entscheidenden Szenen für die gesamte Handlung hält Benioff nicht für groß beachtenswert. Andere Streichungen wie die Weglassung von Hassans Mutter Sanaubar zum Beispiel sind gut gewählt, da bereits im Roman äußerst problematisch. Dennoch fehlt Benioff hier das Gespür für die wichtigen Szenen, das Talent zu unterscheiden, was für die Geschichte von Bedeutung ist und was nicht. An dieser Aufgabe scheitert er grandios, indem er all das in seinem Drehbuch akzentuiert, was für die Entwicklung, bzw. Darstellung der Figuren von keinerlei Belang ist.

Von Regisseur Marc Forster ist man nach diesem Film schon schwer enttäuscht, hätte man nach Finding Neverland doch einen Geniestreich bei einer solch großartigen Vorlage erwarten können. Doch auch Forser akzentuiert die Szenen falsch, legt sein Augenmerk lieber auf den Drachenkampf und die Hochzeit, macht sogar so gravierende Fehler wie afghanische Frauen und Männer gemeinsam an einem Grab stehen zu lassen oder Soraya am Esstisch mit ihrem Vater ein Glas Wein hinzustellen. Um die im Buch zu ausführlich dargestellte afghanische Kultur tut es einem in Forsters Film wirklich leid, denn diese kommt hier aus der klischeebehafteten arabischen Musik nicht sonderlich zur Geltung. Auch Kate Dowd, der in Finding Neverland noch eine so wunderbare Besetzung gelungen ist, tritt hier voll und ganz von einem Fettnäpfchen ins nächste, besonders Khalid Abdalla kann seine Rolle nicht tragen, vor allem in den Kabul-Szenen merkt man ihm das an. In The Kite Runner stimmt am Ende wirklich gar nichts und eine großartige Romanvorlage, auf deren Verfilmung ich mich seit Monaten gefreut habe, sorgte für beständiges Kopfschütteln im Kinosaal. Nicht einmal Adaptionsniete Peter Jackson hätte diese phantastische Geschichte so gegen die Wand fahren können, wie es Forster tut – wohl die Enttäuschung 2008.

1.5/10

15. Januar 2008

The Mist

I don’t know how good it is. But I guess we’ll have to make do.

Wenn man an das Genre Horror denkt, taucht ein Name unweigerlich mit auf: Stephen King. Er gilt als Meister des Horrors und hat seine Fans mit Romanen wie It das Grauen gelehrt. Und wenn man zu den großen Geschichtenerzählern der USA gehört, führt an ihnen für Hollywood unweigerlich kein Weg vorbei. Über 200 Kurzgeschichten und 50 Romane hat King bisher verfasst – ein quantitatives Paradies für die Produzenten und Studiobosse. Bis zum Jahr 2007 entstanden rund achtzig Verwirklichungen von Kings Werken in den Medien. Egal ob Kino-, Fernseh- oder Kurzfilm, Mehrteiler, Serien oder Hörspiele. Am besten funktionieren hierbei natürlich die Kinofilme, die eine größere Masse ansprechen und zugleich die – zumindest technisch – beste Qualität bieten. Reizvoll fanden auch die großen Regisseure Kings Geschichten, hierzu zählen Brian De Palma (Carrie), Stanley Kubrick (The Shining) und Rob Reiner (Stand By Me, Misery). Gewissermaßen einen Narren am König hat Frank Darabont gefressen, der dieses Jahr mit The Mist seine dritte King-Verfilmung in die Kinos brachte. Für seine Adaptionen von The Shawshank Redemption und The Green Mile war Darabont gelobt und gerühmt worden. Doch bereits vor der Produktion dieser beiden Filme hatte Darabont geplant gehabt, The Mist zu verwirklichen. Die Kingsche Novelle entstammte der 1980 erschienenen Horror Anthologie Dark Forces, die Geschichte selbst basiert – so King – auf eigenen Erfahrungen. Nach einem enormen Sturm habe King einst mit seinem Sohn einen Supermarkt aufgesucht und sich in der Schlange zur Kasse stehend gefragt, was wohl wäre, wenn die eingeschlossene Menge von einem prähistorischen Vogel terrorisiert würde. Doch in Kings Geschichten geht es oftmals weniger um das personifizierte Böse, als vielmehr um die Psyche seiner Opfer. Der Fokus seiner Geschichte liegt daher nicht auf der Kreatur, außerhalb des Supermarktes, sondern auf den „Kreaturen“, innerhalb des Supermarktes. Eingepfercht vom Horror – dieselbe Thematik lag bereits den anderen beiden King-Verfilmungen von Darabont zu Grunde.

Ein Sturm zu Beginn prophezeit sich als unheilsvolles Omen. Familienvater David Drayton (Thomas Jane) sucht gemeinsam mit seinem Sohn den örtlichen Supermarkt auf und befindet sich bald als Gefangener in diesem wieder. In einer ursprünglichen Szene wurde zu Beginn erklärt, was es mit dem Nebel auf sich hat, welcher sich über das friedliche Örtchen legen sollte. Doch Darabont entfernte diese Szene und tat letztlich gut daran. Ein blutiger Mann stürmt in den Supermarkt, redet von Toten, von einem ominösen Nebel. Dieser legt sich sofort über die Kleinstadt, die Kunden des Supermarktes sind verängstigt. Sie wissen ebenso wenig wie der Zuschauer, was hier eigentlich vor sich geht. Was ist der Nebel und wo kommt er her? Es ist nicht klar und wird an sich auch nicht aufgelöst werden. Darabont überlässt dem Publikum seine Spekulation, die Krümel für seine Fährte lässt er jedoch fallen. Während King in Geschichten wie Duddits oder It eine Bande von Freunden, von Gleichgesinnten, auf ein Übel treffen ließ, so findet in The Mist die Umkehrt statt. Logischerweise dient der Supermarkt als Querschnitt durch die Gesellschaft. Eine Gruppe von Menschen, die sich gegenseitig teils verabscheuen – nunmehr verdammt zusammen zu arbeiten. Ein Tropfen Öl kann einen ganzen Wasservorrat verunreinigen. Dieser Tropfen Öl ist Mrs. Carmody (Marcia Gay Harden), eine christliche Alttestamentlerin, Anhängerin eines rachsüchtigen Gottes. Sie ist ein zwiespältiger Charakter, ähnlich wie in Paul Thomas Anderson im selben Jahr mit seiner Figur Eli in There Will Be Blood erschaffen wird. Gottestreu verabscheuen sie anders denkende Menschen und bedienen sich dennoch dieser als Anhänger und Mittel zum Zweck. Carmody spielt der Nebel die Karten in die Hand, welche sie gerissen zu nutzen weiß. Nichts treibt Menschen näher zusammen als Angst und ein gemeinsamer Feind. Diesen macht sie jedoch nicht außerhalb der Barrikaden aus, sondern inmitten ihrer Schäfchen.

Blasphemie und Gotteslästerei als Ursachen der Verdammung. Der Nebel spielt der Offenbarungspredigt von Carmody gelungen in die Karten, mit jedem Unheil wächst ihre Macht und die Verschiebung der Gewichtung. Während es für Carmody um das Jüngste Gericht geht, suchen die Eltern im Supermarkt, unter ihnen Drayton, lediglich einen Weg ihre Kinder in Sicherheit zu bringen. Es bilden sich zwei Lager, die Gläubigen und Skeptiker. Dieser Nebel ist nicht von Gott geschaffen, doch an sein Unheil glauben nicht alle. Später spaltet sich das übrig gebliebene Lager der Gläubigen nochmals auf. Die zentralen Figuren Drayton und Carmody jeweils auf einer Seite. Zu diesem Zeitpunkt spielen die Monster des Nebels nur noch eine untergeordnete Rolle – der wahre Feind schläft eine Reihe weiter bei der Milch. King gelingt hier ein glaubwürdiges Kammerspiel, welches Darabont versucht mit Steadycam einzufangen. Zwei Kamerateams der Fernsehserie The Shield unterstützten ihn vor Ort und halfen ihm mit ihrer Beweglichkeit in den engen Gängen des Supermarktes. Was manche einem Zuschauer negativ aufstoßen mag, ist durchaus ausgeklügelt. Darabont erschafft dadurch ein solches „YouTube“-Gefühl, dessen sich auch andere Horrorvertreter wie Vorreiter The Blair Witch Project oder Cloverfield verschrieben. Willkürliche, wackelige Nahaufnahmen und ungewöhnliche Kameraeinstellungen erzeugen ein Gefühl der Anwesenheit. Die Abkehr fester Einstellungen, die stur draufgehalten sind wie bei einem 30 Days of Night gelingt hier und ist zweckdienlich. Weniger wie ein omnipräsenter Erzähler richtet Darabont seine Kamera vielmehr auf das, was seine Figuren in ihr Blickfeld aufnehmen. Ruckartig, ungenau, wackelig und daher irgendwie authentisch. Selbstverständlich unterstützt dies alles einen gewissen trashigen Faktor, aber Edward D. Wood Jr. wäre stolz auf Darabont gewesen. Die wechselseitige Atmosphäre im Film hätte wahrscheinlich nicht besser, als auf diese Weise eingefangen werden können.

Während im Kino eine Farbfassung des Filmes lief, packte Darabont auf eine limitierte DVD-Version auch seine favorisierte Fassung. Seine Schwarz-Weiß Version von The Mist ist als Director’s Cut zu sehen und spiegelt die Intention des Filmes durchaus etwas gelungener wieder. In den schwarz-weißen Bilden, die oftmals ungenau in ihren eigenen Schattierungen verschwinden, wird das Gefühl der Horror-Filme aus den fünfziger und sechziger Jahren wiederbelebt. Es findet sich kein gravierender Unterschied zwischen Farb- und schwarz-weiß-Fassung (wie ihn Darabont beschwört), aber die farblosen Bilder helfen durchaus ungemein dabei die Atmosphäre des Filmes und zugleich die Intention des Regisseurs zu verstärken. Obschon es nicht dem Willen des Regisseurs entsprach, haftet The Mist ein extremer Trash-Faktor an. Ausgelöst wird dies unter anderem durch die Tatsache, dass eine Handlung, die im Grunde in den Achtzigern beheimatet ist – man betrachte nur die Dialoge und Charakterzeichnungen – in eine Atmosphäre aus den Sechzigern versetzt wurde. Die Vermischung dieser beiden Zeitepochen in einem Film, der in der Gegenwart spielen soll, erzwingt praktisch Lacher. Dabei ist Darabonts Film nicht unlogischer wie die meisten anderen Genrevertreter, nur fällt es hier eher auf. Geschmälert wird der trashige Faktor allerdings durch die Schwarz-Weiß-Fassung, die eher das Ambiente der klassischen Horrorfilme hervorruft und damit stärker den Ton trifft als die Farbversion. In Verbindung mit der Steadycam erhalten die farblosen Bilder nochmals einen zusätzlichen Touch, was eine bisher ungeahnte Vermischung ergibt – wackelige Schwarz-Weiß Bilder. Nicht auszudenken, wie viel der Film noch hätte gewinnen können, hätte man das Filmmaterial absichtlich „ramponiert“, wie in Quentin Tarantinos Death Proof bisweilen geschehen.

In dieses Bild eines klassischen B-Movie-Horror-Films fügen sich auch die Effekte glänzend ein. Sie sind alles andere als perfekt, wirken zum Teil billig und gerade deshalb so gut in die wackeligen schwarz-weißen Einstellungen. Die letzte gelungene Nuance ist das fast völlige Verzichten auf jegliche musikalische Untermalung. Der Terror im Supermarkt, der Kampf zwischen den Überlebenden untereinander – Darabont liefert dies seinem Publikum pur und Zuckerrohr. Erst als zum Ende die Flucht gelingt, in eine ungenaue, pessimistische Zukunft, erklingt das apokalyptische The Host of Seraphim von Dead Can Dance. Im Gegensatz zu dem Wunsch des Studios konnte sich Darabont bei seinem Filmende durchsetzen. Die Trostlosigkeit und der Terror nimmt kein Ende – und erneut geht dieser Terror nicht von den Wesen aus dem Nebel aus. Vielmehr ist er selbst geschaffen, ein Resultat einer paranoiden, verängstigten Gesellschaft. Letztlich zahlt sich weder Mrs. Carmodys Fundamentalismus aus, noch Draytons Spontan-Mentalität. Stattdessen feiert Darabont eine reine und naive Seele als den Gewinner aus dem ganzen Chaos. Jenes Chaos, das nicht von Gott aufgelastet, sondern vom Mensch selbst verursacht wurde. Ein Chaos, welches die Menschen im Supermarkt nur aufgrund ihres eigenen Verschuldens heimgesucht hat. Zu oft schlägt The Mist einen amüsanten, trashigen Weg ein, ist allerdings dennoch ein über weite Strecken gelungener Horrorfilm, der den wahren Horror nicht in Monstern, sondern in Menschen findet.

7/10 - in anderer Form erschienen bei Wicked-Vision

14. Januar 2008

Eerie, Indiana - The Complete Series

You guys are a constant source of embarrassment.

Am 15. September 1991 wurde eine Serie ausgestrahlt, die fortan zumindest meine Samstagvormittage bestimmen sollte: Eerie, Indiana. Entwickelt von Karl Schaefer, inzwischen kreativer Berater der Serie Ghost Whisperer mit Jennifer Love Hewitt, und Jose Rivera, 2004 mit einer Academy Award Nominierung bedacht für sein Drehbuch zu Diarios de motocicleta, erhielt die Serie nicht nur kreative Beratung von Gremlins-Regisseur Joe Dante, sondern dieser war sich auch nicht zu schade, bei fünf Episoden selbst hinter der Kamera zu sitzen. Vom 15. September 1991 bis zum 12. April 1992 lief die Serie in den USA auf NBC, ehe sie eingestellt und von der neunzehnten und letzten Folge, Broken Record, am 9. Dezember desselben Jahres zu Grabe getragen wurde. Von ihrem Schema her war die Serie vieles, offiziell ein X-Files-Ableger für Kinder, inoffiziell gefüttert mit ein bisschen Edwood D. Wood Jr. und David Lynch. Bedienen tut sich die Serie dabei bei Volksmythen wie Bigfoot, dem Bermuda-Dreieck, Wolfsmenschen oder auch Elvis. Zugleich war sie Sprungbrett für Jungschauspieler, Hauptdarsteller Omri Katz ergatterte Kinorollen in Adventures in Dinosaur City (1992) oder Hocus Pocus (1993), Nebendarsteller Justin Shenkarow spielte später in David E. Kelleys Erfolgsserie Picket Fences mit – aber auch Nikki Cox (Las Vegas, Unhappily Ever After) und Tobey Maguire (Spiderman) sammelten hier Erfahrung.

Der 13-jährige Marshall Teller (Omri Katz) ist mit seiner Familie von New Jersey in die kleine verschrobene Stadt Eerie in Indiana gezogen. Dort stellt er nach kurzer Zeit fest, dass hier in der Tat einiges eerie (unheimlich) ist, Bigfoot durchstöbert seinen Müll und Elvis wohnt auf seiner Zeitungsroute. Der einzige der ihm jedoch glaubt, dass etwas faul ist im Staate Indiana, ist sein jüngerer Freund Simon Holmes (Justin Shenkarow), mit welchem er gemeinsam die mysteriösesten Fälle löst und anschließend in ihrem Versteck katalogisiert. Von Geistern und Wolfsmenschen zu einsamen Bankautomaten, Tupperware für Menschen und einem leibhaftigen Teufel, bekommen es die beiden Jungen fortan mit allerlei mystisch-mythischen Gesellen zu tun. Hierbei spielt auch gelegentlich die einsetzende Pubertät bei Marshall eine Rolle, der jedoch nie sein Ziel, dem Unerklärlichen in Eerie auf die Spur zu kommen, aus den Augen verliert, während er auch ein ums andere Mal seine Eltern (Francis Guinan, Mary-Margarete Humes) und seine Schwester (Julie Condra) aus gefährlichen Situationen manövrieren muss, wenn er sich nicht selbst, oder Simon, in einer solchen befinden. Als im Verlauf der Serie auch noch der mysteriöse grauhaarige Junge Dash X (Jason Marsden) in Eerie auf der Bildfläche erscheint, erwächst Marshall auch noch ein Konkurrent.
Ironischerweise, auch wenn Eerie immer mit X-Files verglichen wird, wurde die erste X-Files Folge nicht vor dem 10. September 1993 ausgestrahlt, ganze neun Monate nach der letzten Folge von Eerie, Indiana! Somit ist die ursprüngliche Idee der Serie, mysteriöse Vorfälle von einem skeptischen Ermittler aufklären zu lassen, wahrscheinlich doch eher in David Lynchs Twin Peaks von 1990 begründet. Hier wie da ermittelt ein geerdeter Außenstehender unerklärliche Vorfälle in einer kleinen seltsamen Gemeinde. In Eerie werden verschiedene, in den meisten Fällen bereits irgendwo angewendete Ideen, eingeführt, um den Spannungsrahmen für jede einzelne Folge zu bilden. Seien es Mumien, Geister, Wolfsmenschen, Stepfordsche Erscheinungen, Gehirnwäschen oder Außerirdische, alles findet in Eerie seinen Mittelpunkt begründet. Für eine Serie zu Beginn der 90er Jahre versteht es sich, dass die Kosten nicht sonderlich hoch waren, sodass viele Szenen oder auch Einstellungen vom heutigen Standpunkt aus dilettantisch wirken mögen. Die Handlungen der jeweiligen Folgen sind dabei ziemlich vorhersehbar und der Witz hält sich auch in Grenzen. Was die Serie dennoch so gelungen macht, ist vielleicht der Fakt, dass sie in ihrer Zeit verwurzelt ist, und für jemanden wie den Autor, der gerade in dem Alter der Zielgruppe gewesen war, heute einen enormen Nostalgiefaktor bereit hält.

Wie bereits erwähnt, bliebt Justin Shenkarow der TV-Welt für vier weitere Jahre mit Pickett Fences erhalten und ist auch heute noch in der einen oder anderen Serie in einer Gastrolle zu erhaschen. Ebenso verhielt es sich auch mit Francis Guinan und Julie Condra, die jedoch keinen festen Serienplatz mehr in ihren Karrieren erhielten. Jason Marsden hingegen – dessen Figur Dash X aufgrund der Einstellung der Serie nie wirklich erklärt werden konnte – war später noch Bestandteil der Serien Full House, Boy Meets World und insbesondere Step by Step, ehe er 1996 sogar on Ridley Scotts White Squall auftauchen durfte. Am meisten in Erinnerung dürfte Mary-Margarete Humes geblieben sein, die von 1998 bis 2003 die Mutter von James van der Beek in Dawson’s Creek gespielt hat. Am schlimmsten von allen Darstellern erwischte es wohl Omri Katz, der inzwischen als Schauspieler nicht mehr aktiv ist und einen Friseursalon in Los Angeles betreibt. Die Karrieren von Nikki Cox und vor allem Tobey Maguire wiederum sprechen für sich. Eerie, Indiana hatte letzten Endes wohl an seiner schlechten Umsetzung, bzw. seinem knappen Budget zu leiden, weshalb die Serie manche Punkte wie Dash X nie aufklären konnte. Potenzial hatte die Serie auf jeden Fall gehabt, bedenkt man die Langlebigkeit von Serien wie Boy Meets World oder Step by Step. Vielleicht war das Konzept der Serie seiner Zeit damals einfach nur voraus, ihren Nostalgiefaktor erfüllt die dennoch problemlos.

7/10

10. Januar 2008

Vorlage vs. Film: The Return of the King

The Return of the King (1955)

Der Abschluss einer großen Trilogie, die so nie eine sein wollte, fand sich ein Jahr nach Erscheinen des ersten Teiles mit The Return of the King. Wie bereits zuvor wurden zwei Büchern von den Herausgebern zu einem Band zusammengefasst und erhielten den übergreifenden Titel, mit dem Autor J.R.R. Tolkien zu Lebzeiten nie viel anfangen konnte. Viel zu viel vorweg würde der Titel nehmen und deswegen hätte er lieber Einzeltitel für die jeweiligen Bücher vergeben, wie es auch bei den anderen vier der Fall gewesen war. Doch Hand aufs Herz, eine wirkliche Überraschung dürfte die Auflösung von Tolkiens Buch nicht gewesen sein. Sowohl Aragorns Krönung als auch die Zerstörung des Ringes zeichneten sich bereits bei der Einführung der Thematik ab. An sein sechstes Buch knüpften die Herausgeber dann noch fünf Appendixe an, welche sich nicht nur mit Tolkiens erfundener Sprache, sondern auch Dynastien und Vorgeschichten aus Mittelerde beschäftigen. Ursprünglich hätte es der Autor gerne gesehen, wenn die sechs Bücher des Herrn der Ringe gemeinsam mit den Appendixen und dem Silmarilion herausgegeben worden wären - diese Idee ließ sich jedoch, wie bereits beim zweiten Teil angesprochen, aufgrund der Papierknappheit der Nachkriegszeit nicht verwirklichen. Wie dem auch sei, mit The Return of the King geht eine der größten Fantasy-Geschichten aller Zeiten in ihr krönendes Ende.

Das fünfte Buch (The War of the Ring) knüpft wieder ausschließlich an die Geschehnisse im Westen rund um Gandalf und Aragorn an. Da Pippin in den Palantir geblickt hat, macht sich Gandalf mit ihm auf die Reise nach Minas Tirith, welches bereits seine Verbündeten durch die Leuchtfeuer um Hilfe gerufen hat. Währenddessen rufen König Theoden und sein Neffe Éomer die Männer Rohans zur Musterung und Aragorn macht sich gemeinsam mit Legolas, Gimli und den neu dazu gestoßenen Dúnedain auf den Weg durch den Pfad der Toten, um ein vor langer Zeit gebrochenes Versprechen wieder einzulösen. In Minas Tirith schickt Denethor, der Verwalter Gondors, mit liebloser Sturheit seinen Sohn Faramir in Schlacht um Schlacht, als er erfährt, dass dieser den Einen Ring nach Mordor hat passieren lassen. Die Stadt selbst sieht sich der Belagerung Mordors ausgesetzt und hofft auf das rechtzeitige Eintreffen der Rohirrim. Seinen eigenen Palantir benutzend sieht Denethor die mächtige Armee des Ostens und stürzt schließlich in den Wahnsinn, als Faramir von einer Suizidmission schwer verwundet heimkehrt. Während Gandalf Faramirs Ermordung verhindert, wird auf den Feldern von Pelennor nach dem Eintreffen der Rohirrim und Aragorns, der eine Seeflotte der Korsaren gekapert hat, die Zerstörung Minas Tiriths verhindert. Obschon Theoden fällt, gelingt es Merry und Éowyn den Anführer der Nazgûl und Hexenkönig von Angmar zu töten. In den Heilenden Häusern kann Aragorn das Leben von Faramir, Éowyn und Merry retten und reitet schließlich mit den verbliebenen Truppen zum Schwarzen Tor, um das Auge Saurons von Frodo im eigenen Land abzulenken.

Nachdem man Frodos Schicksal im Turm Cirith Ungols am Ende des vierten Buches in der Schwebe gelassen hat, knüpft das sechste Buch (The End of the Third Age) an Sams Rettungsaktion an. Es gelingt ihm Frodo zu befreien, auch wenn die Schergen Mordors nun über zwei Spione informiert sind. Gemeinsam - und erneut mit Gollum auf ihren Fersen -, schlagen sie sich schließlich mit knappen Wasservorräten zum Schicksalsberg durch, an welchem sich Gollum schließlich in einer offenen Attacke zu erkennen gibt. Es gelingt Sam Frodo Zeit zu verschaffen, um den Vulkan zu betreten, doch Frodo reißt den Ring am Ende an sich. Durch Abbeißen von Frodos Finger fällt der Ring jedoch wieder in den Besitz Gollums – doch fordert dies seinen tödlichen Tribut als er dabei ungeschickt stürzt und der Ring schließlich vernichtet wird. Saurons Macht zerfällt und Mittelerde, sowie Gondors Armee vor dem Schwarzen Tor, sind gerettet. In den folgenden Feierlichkeiten wird Aragorn vor den Stadttoren zum König von Gondor erklärt und heiratet schließlich Arwen Undómiel in der Stadt seiner Väter. Éomer wird König von Rohan und Faramir zum Prinzen von Ithilien erhoben und zugleich mit Éowyn verlobt. Im Auenland angekommen müssen die Hobbits jedoch nochmals zu den Waffen greifen, da sich Saruman dort eingenistet hat. Am Ende finden alle jedoch ihr friedliches Ende und Frodo verlässt mit Bilbo, Elrond, Galadriel und Gandalf schließlich an den Grauen Anwanden Mittelerde für immer.

Tolkien fasste sich in seinen beiden letzten Büchern verhältnismäßig knapp und scheint seiner eigenen Geschichte letzten Endes wohl etwas überdrüssig geworden zu sein. Die letzten Kapitel beschäftigen sich ausschließlich mit dem Ende des Dritten Zeitalters und den Veränderungen die es mit sich brachte. Etwas sauer stößt das Finale auf, wenn Sauron auf zwei westliche Spione in seinem Land nicht sonderlich zu reagieren scheint, Aragorn hin oder her. Hier wäre es vielleicht sinnvoller gewesen, wenn Sam Gorbag doch getötet hätte und der Alarm nicht losgegangen wäre. Eine besondere Stellung nimmt schließlich die Säuberung des Auenlandes ein, zeigt sie, dass auch vor der beschaulichen Heimat der Hobbits der Krieg um Mittelerde nicht Halt gemacht hat und bildet zugleich sozial-politische Kritik von Tolkien am Nachkriegsengland der 1920er Jahre. Tolkien gelang mit seinem Buch eine brillant gestaltete Welt voller liebevoller Details, von unsagbarer Schönheit und großen Idealen. Ein würdiges Ende des Dritten Zeitalters bildet das Ende einer der bestgeschriebensten Sagen des 20. Jahrhunderts über eine Geschichte von Pathos, Liebe, Freundschaft und Loyalität, sowie das Kämpfen für den Frieden, der in den richtigen Händen kein Trugschluss sein muss. In über eintausend Seiten schuf ein einzelner Mann eine ganze Welt, allein durch die Kraft seiner Gedanken.


The Return of the King - Special Extended Edition (2003)

So we come to it in the end, the great battle of our time.

Dank der Arwen- und Galadriel Szenen, sowie dem unheimlich wichtigen Pseudo-Tod von Aragorn, war in der zweiten Verfilmung kein Platz mehr gewesen für die letzten Kapitel des dritten und vierten Buches, sodass die ausgelassenen 105 Seiten einfach in den dritten Teil einflossen. Eingeleitet wird The Return of the King von einer Rückblende über die Wandlung von Sméagol zu Gollum, wie sie Gandalf Frodo gegenüber im ersten Band geschildert hat. Ursprünglich war diese Rückblende für den zweiten Teil vorgesehen und bei der Begegnung der Hobbits mit Gollum in den Emyn Muil angedacht. Dort hätte sie auch sehr viel besser hingepasst, als dies zu Beginn des dritten Teils der Fall ist. Jackson knüpft dann bei den Hobbits und ihrer Flucht aus Osgiliath an und lässt sie die Wanderung zum Scheideweg unternehmen. Jedoch nur kurz, ehe er sich der versprengten Gefährten und ihrem Ritt nach Isengart widmet. Wie bereits im zweiten Teil, sprengt Jackson den jeweils eigenständigen Erzählstrang und erzählt seine Version des Herrn der Ringe parallel. Seine Absicht die Geschichte chronologisch nebeneinander zu erzählen misslingt ihm dabei jedoch ein ums andere Mal und die ständigen Schnitte von einem Ort zum anderen stören vermehrt den Erzählfluss. Da das Gespräch mit Saruman – welches in der Kinofassung entfällt - ziemlich beschnitten ist, macht die Reise von Gandalf und Co. nach Isengart keinen wirklichen Sinn - wie es noch bei den meisten anderen von Jacksons eigenwilligen Änderungen sein wird.

Nachdem Pippin in den Palantir schaut, reitet Gandalf mit ihm nach Minas Tirith, sieht unterwegs aber weder einen Nazgûl, noch die erleuchteten Leuchtfeuer. Das findet seine Ursache in der nächsten charakterlichen Vergewaltigung, denn Gondor ruft keineswegs seine Verbündeten zur Hilfe. Denethor wird als stur und starrsinnig gezeigt, der von der ersten Szene an jeden Bezug zur Realität verloren hat. Ohne jeglichen Respekt inszeniert Jackson den Verwalter von Gondor und lässt das ganze am Ende schließlich in einer grotesken Fress-Szene und einem lächerlichen Tod enden (mit Gandalf als Mörder). Auch der Zusammenhang zwischen Denethor und dem Palantir wird nicht erläutert und dessen Existenz später in einer Szene mit Aragorn einfach dem Publikum präsentiert. Peter Jacksons Lieblingsausrede dürfte wieder die Spannungserzeugung gewesen sein, wobei sich nicht erschließen lässt, inwiefern es Spannung erzeugt, wenn Theoden und Denethor als sture Böcke dargestellt werden, die von Gandalf und Pippin ausgetrickst werden müssen. Zudem eröffnet Jacksons eigenwillige Änderung der Handlung ein Logikloch, welches er einfach ignoriert. Die Frage warum Denethor Gandalf nicht aus der Stadt schmeißt, nachdem dieser das Leuchtfeuer entfacht, beantwortet er nicht.

Ein weiterer und viel schwerwiegenderer Fehler ist Jackson dabei gleich zu Beginn unterlaufen, denn in seiner Version - siehe den Bericht zum zweiten Teil - waren Saruman und Sauron ja verbündet miteinander und Saruman weiß von Frodos Mission den Ring in Mordor zu zerstören. Da Saruman bei Jackson jedoch das Schoßhündchen von Sauron ist, müsste dieser von Frodo und dessen Mission ebenfalls Bescheid wissen, spätestens als Isengart fällt, dürfte ihm der weiße Zauberer dies mitgeteilt haben. In Jacksons Filmversion hätte Frodo niemals die Schicksalsklüfte betreten können und der Film dürfte gar kein gutes Ende haben. Aber auch dieses Problem ignoriert der Neuseeländer einfach. Während Gandalf in Minas Tirith Schalten und Walten kann wie es ihm passt, bekommt Aragorn bei der Musterung der Rohirrim Besuch von keinem geringeren als Elrond selbst. Dieser überreicht Aragorn stolz Andúril und entscheidet somit dessen Schicksal. Der zögerliche Aragorn Jacksons entscheidet sich also fünf vor zwölf, dass er König von Mittelerde werden will. So einem König folgt man bereitwillig in die Schlacht, das versteht sich von selbst. In der Vorlage hat Aragorn seine Entscheidung bereits in Bruchtal getroffen und dort die Schmiedung Andúrils selbst in Auftrag gegeben. Die Bedeutung seiner Entscheidung und somit seine Charaktereigenschaft geht in der Filmversion total verloren. Zufälligerweise kampieren Aragorn und Konsorten in derselben Nacht auch vor dem Pfad der Toten, über den Legolas im übrigen sehr viel mehr weiß, wie der Erbe Isildurs, obschon er unerschrocken diesen Pass betritt.

Munter weiter im fröhlichen Uminterpretieren geht es auf dem Pfad von Cirith Ungol. Dort treibt Gollum sein Unwesen und spielt die „garsstigen Hobbitses“ geschickt gegeneinander aus, sodass nach einer kleinen Intrige Frodo seinen Sam verstößt, mit den tollen Worten „Geh heim!“, was tausende Meilen vom Auenland nur noch lächerlich wirkt. Wenn man sich fragt, was das ganze soll, da Frodo im Buch zu keinem Zeitpunkt ernsthaften Streit mit Sam hat, dann klatscht einem Jackson sicherlich erneut die Spannung um die Ohren. Spannung Spannung, Spannung – man kann sich kaum in den Sitzen halten, wenn Sam die Treppen runtertrottet, denn jeder dürfte davon ausgehen, dass der jetzt einfach nach Hause spaziert (so wie jeder im zweiten Teil dachte, dass Aragorn tot gewesen ist). Wem Jackson hier was vormachen will, wird nicht ganz klar, idiotisch ist die Szene allemal. Auch das Frodo von Kankra nicht in den Nacken, sondern durch sein Mithrilhemd hindurch gestochen wird (!) ist wieder Jacksonscher Schwachsinn sondergleichen. Folglich wird Sam in Jacksons Version auch nicht zum Ringträger, allgemein wird dessen Rolle in der Filmtrilogie sträflichst unter den Teppich gekehrt. Dass Sam Gorbag laufen lässt und dieser mit dem Kettenhemd entkommen kann, wird im Film (in welchem Sam zum Super-Sam mutiert und einen Ork nach dem anderen fällt, nachdem er Kankra im offenen Kampf gestellt hat) auch nicht klargestellt. Anschließend wird die Reise der beiden Hobbits durch Mordor auf ein Minimum begrenzt, bevor es dann zum Klimax kommt.

Derweil bereitet Jackson sein Herzstück des Filmes vor, welches wie zuvor in The Two Towers natürlich wieder aus der Schlachtszene besteht. Auch wenn der Sturm der Rohirrim in der im Film gezeigten Form keinen Sinn macht, ist dies dennoch die stärkste Szene, untermalt mit großartiger pathetischer Musik und schönen goldbraunen Tönen. Bevor es dann wieder einen surfenden Legolas zu sehen gibt (diesmal auf einem mûmakil und immer schön mitzählend „neunzehn!“, „zwanzig!, „einundzwanzig!“), wird erstmal Éowyn als alles niedermähende Kampfamazone gezeigt, nachdem sie zuvor unerkannt bis nach Gondor geritten ist. Die Schlacht entscheiden tut Aragorn dann praktisch im Alleingang, dank seiner Armee der Toten (welche sich im Buch beim Angriff auf die Korsaren verabschieden). Wenn man sich die Armee der Toten so ansieht, fragt man sich schon, wieso Jackson überhaupt die Rohirrim einbaut, denn eigentlich hätte Elrond Aragorn auch direkt in den Pfad der Toten schicken können, wenn diese wie ein Putzkommando alles ausmerzen, was sich ihnen in den Weg stellt. Doch wer bei Jackson nach Logik fragt, erhält nur Schweigen.

Dass The Return of the King dreimal so viele Effekte hat, wie es noch bei Fellowship der Fall gewesen ist, merkt man dem Film deutlich an, denn die meisten Effekte sind nunmehr zu offensichtlich und blättern ab, wirken weniger bis gar nicht glaubhaft. Wieso Jackson so viele Szenen mit Aragorn und Éowyn dazu erfindet und dann in einer einzelnen Szene die Liebesgeschichte zwischen ihr und Faramir abhandelt, ist auch unverständlich. Aragorns heilende Hände und die Bedeutung von ihnen wird in der Szene mit den Heilenden Häusern ebenfalls unterschlagen. Warum Jackson solche Erinnerungsfetzen einbaut, wenn er sie nicht erläutert oder weiter verfolgt, ist unverständlich. Aragorn reitet jedenfalls zum Schwarzen Tor und die Geschichte nimmt ihren Lauf und mündet in Jacksons fünffacher Überblendung und einem 45minütigen Finale, welches sich problemlos in die schlechtesten Filmenden aller Zeiten einreiht. Dass der Film eigentlich auch The Return of Gimli Pausenclown heißen könnte, der sich weiterhin fröhlich durch Mittelerde rülpst oder der letzte Teil von Jackson sexistisch und aufs Äußerste gewaltverherrlichend inszeniert wurde, geht dabei fast unter. Platz für seine geliebte Cate Blanchett findet sich jedoch ebenso wie für Liv Tyler, die wie in jedem Teil mindestens einmal sagen darf, dass sie sich für ein sterbliches Leben entschieden hat. Warum am Ende Arwen jedoch mit dem Schicksal des Ringes verbunden wird, das bleibt wie der gesamte Film Peter Jacksons Geheimnis.

Viel wurde gestrichen, manches verändert. Sätze wechseln ihre Träger und neben Prinz Imrahil tauchen auch Elronds Söhne und die Dúnedain nicht in der Handlung auf. Der Ritt durch den Drúadan-Wald entfällt, ebenso wie der Heimmarsch der Gefährten und die Säuberung des Auenlandes. Falsch oder schlimm ist das nicht, lieber gar kein Prinz Imrahil, als dass Jackson nachher wieder seinen Charakter umdeutet. Die Ausstattung und Umgebung kann diesmal nicht so sehr punkten wie in den beiden Vorgängern, da die meiste Handlung entweder in Minas Tirith, Mordor oder in Schlachten spielt, welche hauptsächlich von digitalen Effekten dominiert werden. Auch Howard Shore kann nicht ganz an die Klasse des zweiten Teiles anknüpfen. Kritisch beäugt werden darf auch der Schnitt zwischen den beiden Discs, der wie bereits im zweiten Teil deutlich misslungen ist (obschon sich viele Gelegenheiten angeboten haben, zumindest bessere, als während einem gesprochenen Satz zu schneiden). Aus Jux und Dollerei drehte Jackson nach seinem Oscargewinn auch noch eine Szene nach, die er von Spielbergs Indiana Jones and the Temple of Doom geklaut hat. Dass The Return of the King elf Oscars bekommen hat, unter anderem für den besten Film und die beste Regie, verwundert bei der Academy nicht weiter, die meistens den misslungensten Film zum Film des Jahres erklärt, sowie die inkompetentesten Regisseur (s. Scorsese für The Departed oder dieses Jahr wahrscheinlich Scott für American Gangster).

Warum Peter Jackson die scheinbar so dröge Geschichte Tolkiens (anders lassen sich seine Spannungs-Vergewaltigungen des Stoffes nicht erklären) verfilmt hat, wird er vermutlich selber nicht wissen. Ist sein erster Teil noch verhältnismäßig gelungen, gibt er sich mit dem dritten Teil der Lächerlichkeit preis. Seine Veränderungen der Handlung sorgen allesamt für tiefe Löcher in der Handlungslogik, seine Spannungserzeugungen verpuffen alle so sehr (Gollums Pseudo-Tod - wieso muss in jedem Teil jemand scheinbar sterben? - oder Frodos Gehampel im Auge Saurons), dass man nur noch ein krampfhaftes Lachen hervorpressen kann. Das meiste Augenmerk richtet Jackson wieder auf seine Schlacht, für die a drei Seiten in vier Minuten erklärt, während der Verlauf des sechsten Buches mit zwei Seiten pro Minute auskommen muss. Ohne Respekt vor Tolkiens Figuren und Verständnis für die Handlung inszeniert Jackson ein Effektgewitter, das erneut zu keinem Zeitpunkt den Tiefgang der literarischen meisterlichen Vorlage erreicht und nichts weiter ist, als großes, stupides Mainstreamkino, welches für wahre Fans des Buches nur Versatzstücke bietet.

3.5/10