25. Juni 2007

Grey’s Anatomy - Season Three

Bereits seit der ersten Staffel wirkte Grey’s Anatomy (eine Abwandlung des medizinischen Einführungsbuches Gray's Anatomy) wie eine Mischung aus Scrubs und Sex and the City, aber in keiner Staffel war dies wohl so deutlich wie in der dritten, wo noch eine gehörige Portion Melrose Place hinzu kam. Besonders gegen Ende der dritten Staffel macht sich das laxe Schreiben von Produzentin Shonda Rhimes bemerkbar, der die Ernsthaftigkeit der Serie anscheinend so zu schaffen macht, dass sie mit der Doppelfolge The Other Side Of This Life kurz vor dem Staffelfinale den Piloten für eine Spin-Off-Serie (Private Practice) um Kate Walsh inszenierte, welche eher in Richtung Ally McBeal gehen wird.

Am Seattle Grace Hospital dreht sich weiterhin alles vormerklich um Sex und Operationen. Während Izzy (Katherine Heigl) noch den Tod ihres Verlobten Denny betrauert und hartnäckig versucht ihre Stelle zurück zu bekommen, werden die Beziehungen von George (T. R. Knight), Cristina (Sandra Oh) und Meredith (Ellen Pompeo) von mehr oder weniger wichtigen Erschütterungen durchzogen. Zwei der jungen Ärzte müssen auch noch mit dem Tod von Elternteilen klarkommen, während die leitenden Chirurgen in einen offenen Wettkampf um den Posten des Chef der Chirurgie getreten sind.

Die beste Neuerung der dritten Staffel ist das Auftauchen von Dr. Mark Sloan (Eric Dane), Derek's ehemaligen besten Freund, mit welchem Addison eine Affäre hatte. Sloan ist der typische schmierige Schönheitschirurg (abgekupfert von Christian Troy aus Nip/Tuck?), der vor allem die Frauenherzen in den USA als neuer "McSteamy" ins Wanken brachte. Doch er gehört leider zu den Figuren, die auch wie Justin Chambers in den Hintergrund rücken, was äußerst schade ist, da besondern Chambers und Dane sehr viel Potential besitzen.

Wie meistens drehen sich die Folgen jedoch um Meredith Grey, was ziemlich oft eine wahre Tortur ist. Ellen Pompeo, dieser magersüchtige Hungerhaken, hat eine grausam-nervige Stimme und die armselige Figur von Meredith wird dadurch nicht besser. In 25 Folgen muss man sich ihre ständige egozentrische Quengelei anhören, ihr ständiges Gefühlschaos, was so überspitzt wird in dieser Staffel, dass es mitunter eine Zumutung ist. Das die Serie gegen Ende zu einem Abklatsch von Melrose Place wird und das Staffelfinale ziemlich läppisch daherkommt (was wohl an den Problemen am Set Anfang des Jahres lag), macht die Serie zu keinem Highlight, sondern reiht sie ein in die Reihe schwacher dritter Staffeln.

7/10

21. Juni 2007

The Big Lebowski

That rug really tied the room together.

Ein Kult bezeichnet ein Objekt, welches verehrt wird und logischerweise zugleich eine Gruppe, welche dieses Objekt verehrt. Somit handelt es sich um einen Kultfilm, wen dieser eine eigene Anhängerschaft entwickelt hat und von dieser kultisch verehrt wird. Im Jahr 2002 entstand Louisville (Kentucky) das sogenannte ”Lebowski Fest“, welches aus einer Bowlingnacht, sowie mehreren Wettbewerben zu Trivia und Zitaten besteht. Sechs Mal wurde es bereits abgehalten und hat inzwischen Ableger in Los Angeles oder London gefunden. Niemand würde also bezweifeln, dass The Big Lebowski von Joel und Ethan Coen ein solcher Kultfilm ist. Einen der wenigen, der diesen Namen tatsächlich verdient.

Dabei zeichnet sich The Big Lebowski durch dieselben Elemente und Stilmittel aus, wie sie die meisten Filme der Coen-Brüder besitzen: Neben vielen Schreien und übergewichtigen Menschen ist es vor allem die Darstellerriege, die aus Freunden und Bekannten der Brüder besteht. Mit den meisten von ihnen haben sie bereits in früheren Filmen und teilweise mehrfach zusammengearbeitet, sodass es nicht weiter verwundert, dass die Chemie zwischen dem Ensemble oft reibungslos zu funktionieren scheint. Und ohne an dieser Stelle Miller’s Crossing, Barton Fink und Fargo schmälern zu wollen, ist The Big Lebowski wohl der beste, weil rundeste Film, den die Coens in ihrer bisherigen Karriere abgeliefert haben.

Die gesamte Handlung kommt ins Rollen, als der Dude (Jeff Bridges) zu Hause von Geldeintreibern überrascht wird, die ihm auf seinen geliebten Teppich pinkeln. Dabei haben sie den Dude, der bürgerlich Jeffrey Lebowski heißt, mit dem gleichnamigen Millionär verwechselt. Der Dude will dies nicht auf sich sitzen lassen und sucht den richtigen, den Big Lebowski (David Huddleston), auf, um seinen Teppich rückerstattet zu bekommen. Dabei macht er auch die Bekanntschaft von dessen rechter Hand, Brandt (Philip Seymour Hoffman), und seiner nymphomanen Frau Bunny (Tara Reid). Als diese scheinbar entführt wird, soll der Dude für Mr. Lebowski die Lösegeldübergabe in Höhe von $20,000 übernehmen.

Die Situation entwickelt sich zum Albtraum, als der Dude seinen Bowlingkumpel und Vietnamveteran Walter (John Goodman) einweiht. Der bezweifelt, dass eine Entführung stattgefunden hat und schustert den Entführern, drei deutschen Nihilisten (darunter Peter Stormare) einen falschen Hasen zu. Als dann die Lösegeldübergabe schiefgeht und dem Dude sein Auto mit dem Lösegeld gestohlen wird, scheint die Lage zu eskalieren. Zugleich werden die beteiligten Personen, die der Dude auf seiner Odyssee trifft, immer skurriler: Von einem allwissenden texanischen Cowboy (Sam Elliott) über einen Unterwelt-Porno-Boss (Ben Gazzara) bis hin zu Maude Lebowski (Julianne Moore) und ihrer Agenda.

Was sich wie eine komplexe Geschichte liest, entpuppt am Ende lediglich als leere Luft. Denn die Coens haben es geschafft, einen Film ohne jeglichen Inhalt zu drehen, der aber dennoch über seine gesamte Laufzeit zu fesseln und zu unterhalten weiß. In ihrer an Raymond Chandlers The Big Sleep angelehnten und inspirierten Geschichte, gespickt mit vielen gewohnt farbigen Figuren, die ihrer eigenen Umgebung entstammen, bilden die Coens eine Seinfeldeske Komödie, die sich nach den Angaben der Brüder um nichts dreht. So hat sich am Ende der Handlung keine der Figuren weiterentwickelt – schon gar nicht der Dude. Klar, dass auch der als Erzähler auftretende Cowboy nicht weiß, worum es im Film ging.

Das Geniale dabei ist, es stört sich auch niemand daran. Denn das Geniale ist, dass die Geschichte dadurch erst genial wird. Viel wird gezeigt, wenig wird erklärt. So spielen Maude Lebowski oder Jesus Quintana (John Torturro) für die eigentliche „Handlung“ eine untergeordnete bis gar keine Rolle. Das Bowling-Halbfinalspiel von Walter und dem Dude gegen Jesus wird in zwei Szenen thematisiert, dann jedoch im weiteren Verlauf des letzten Drittels total fallen gelassen. Ebenso wie der Teppich für den Dude erst den Raum ausgemacht hat, so machen gerade diese (unnötigen) Figuren und Handlungsebenen erst The Big Lebowski aus. Und ohne diese sinnlosen Handlungsstränge wäre der Film ein ganzes Stück ärmer.

Natürlich kann man dem Film eine gewisse Tiefe durch Interpretation verleihen, wenn man wie Dan Jolin in der Empire The Big Lebowski gleichstellt mit Amerikas Verstrickungen im Mittleren Osten (wobei der Dude für Kuwait, die Nihilisten für den Irak und Walter für die USA steht). Diese Rechnung geht hier durchaus auf, ob dies aber die Intention der Coens war, ist jedoch fraglich. Den Film einmal aus diesem Blickwinkel zu sehen, tut dem Spaß jedoch keinen Abbruch. Unbestreitbar ist der Dude aber ein in sich ruhender Charakter, den mit einem Joint und einem White Russian in der Hand absolut nichts aus der Fassung bringen kann und der liebend gerne die Sätze anderer Leute zu eigenen Zwecken entfremdet.

Was genau seine Motivation ist und wie er es überhaupt schafft zu überleben und seine Miete zu bezahlen, thematisiert der Film nicht. Ursprünglich sollte der Dude von einem Erbe leben, doch widersprach dies wohl dem Grundgedanken des Dude. Wäre dieser finanziell abgesichert, wäre er einem automatisch weniger sympathisch. Was den Dude sicherlich kaum stören würde (“Fuck sympathy!”). Aber auch die Tatsache, dass Jeff Bridges hauptsächlich seine eigenen Klamotten als Dude trug, bestärkt diesen Faktor weiterhin. Viel mehr lässt sich zu diesem Meisterwerk kaum sagen, da, wie erwähnt, keine richtige Handlung vorhanden ist und alles Weitere nur das Filmerlebnis trübt. In diesem Sinne: The Dude abides.

10/10

20. Juni 2007

Goya’s Ghosts

Nobody expects the Spanish Inquisition!

Es heißt ja so schön, der Teufel stecke im Detail. Im Falle der Spanischen Inquisition in Miloš Formans Goya’s Ghosts nehmen die Figuren das allerdings durchaus wörtlich. Häretiker seien Leute, die sagen, Materie bestünde aus Atomen. Darauf weist Bruder Lorenzo (Javier Bardem) seine Agenten hin, als er sie auf die Suche nach Kryptojuden und Mauren schickt. Und wer „Tempel“ statt Kirche sagen würde, wäre ebenso ein Jude – “or even worse, a Protestant“. Augen auf heißt es auch beim Urinieren, sollte sich dort einer das Geschlecht mit der Hand verdecken. Vermutlich ist er beschnitten. Laut Lorenzo gilt in allen Fällen: “Get his name“.

Eingerichtet im Jahr 1478 von Ferdinand II. und Isabella I. hatte die Spanische Inquisition zum Ziel, die Identifikation von Kryptojuden (falsche Konvertiten) und Mauren auf der Iberischen Halbinsel zu erreichen. Sie folgte somit nahezu im Anschluss an die fast 800 Jahre andauernde Reconquista der iberischen Länder von den Mauren, die 1492 vollzogen wurde. Im Laufe der folgenden Jahrhunderte, die Spanische Inquisition fand ihr Ende erst im 19. Jahrhundert, sorgten die Methoden der Inquisition für Angst und Schrecken. Denn wer im Verdacht stand, konnte bis zu zwei Jahre eingesperrt bleiben, ehe man seinen Fall verhandelte.

Nicht unähnlich also der US-Militärbasis Guantánamo, wo zur Geständnisgewinnung auch gerne Folter angewandt wird. Eine weitere Parallele zur Inquisition, wo mit der toca bereits eine Protoform des Waterboardings stattfand. Auch üblich, und in Goya’s Ghosts integraler Bestandteil, war das strappado, in welchem die Hände hinter dem Rücken gefesselt wurden und der Körper mit einem Seil in die Höhe gehoben wurde. Ziel und Zweck war damals wie heute die Wahrheitsgewinnung – von Folter will dabei keiner reden. “Put to the question“, nennt es Lorenzo euphemistisch. Der verdächtigten Person würden lediglich Fragen gestellt.

Folterszenario der Inquisition, gemalt von Bernard Picard 1716 (oben) und die Methode des strappado umgesetzt in Miloš Formans Goya’s Ghosts (unten).

Eine Frage wird in Goya’s Ghosts auch der jungen Kaufmannstochter Inés (Natalie Portman) gestellt, als sie in einer Taverne dabei beobachtet wird, wie sie Schweinefleisch abgelehnt hat. Fortan als Kryptojüdin gebrandmarkt, landet sie in den Verliesen der Inquisition. Weil sie zuvor als Muse für den spanischen Hofmaler Francisco de Goya (Stellan Skarsgård) tätig war und dieser wiederum auch das Porträt des Inquisitionsbruders Lorenzo malte, bittet Inés’ Vater (José Luis Gómez) Goya um Intervention. Trotz Bestechung behält die Inquisition Inés jedoch in Haft, sodass ihre Familie Lorenzo anschließend selbst „eine Frage stellt“.

Im Grunde ist Formans Film, nach einem Drehbuch von Jean-Claude Carrière, je nach Fokus seiner Figur einem anderen Genre zuordenbar. Obschon im Titel der Name Goyas auftaucht, so ist das Produkt “not even a film about Goya“, wie Forman in den Extras versichert. Der spanische Maler sei eher „ein Beobachter“, wie Carrière findet. “Just an eye“, so der Autor über die Figur, die nicht in die Handlung des Films involviert sein will. Vielmehr sieht sie sich in einer aus der Handlung gelösten Rolle, eben die, des Beobachters. Und damit nicht unähnlich der des Zuschauers selbst, der ebenfalls nur Mitansehen kann, welche Tragödie sich hier entwickelt.

Dennoch ist Goya keine passive Figur, vielmehr eine, die, wie viele „Helden“, erst eine Katharsis durchmachen muss, um zur treibenden Kraft zu werden. Goya’s Ghosts, der im Jahr 1792 beginnt, springt für die zweite Hälfte des Films 15 Jahre in die Zukunft. Scheinbar keine willkürlich gewählten Jahre, bezeichnete das zuerst genannte doch jenes Jahr, in dem Goya sein Gehör zu verlieren begann, und 1807 wiederum den Beginn der Napoleonischen Kriege auf der Iberischen Halbinsel. Verfolgte der Spanier den Krieg noch als „bloßes Auge“, seine berühmten Grafiken „Die Schrecken des Krieges“ halten ihn fest, beginnt er nun zu agieren.

Durch den Einfall der Franzosen findet die Inquisition ein jähes Ende, die Gefangenen in den Verliesen werden freigelassen. Darunter auch die sichtlich mitgenommene Inés, die nach 15 Jahren Gefangenschaft vor den Trümmern ihrer Existenz steht. Nur noch angetrieben von der Suche nach ihrer im kirchlichen Kerker mit Lorenzo gezeugten Tochter, sieht sich Goya aufgrund seiner Gewissensbisse verpflichtet, ihr zu helfen. Ebenso wie die Schrecken des Krieges zählt auch Inés zu den Geistern des Malers, die dieser nicht abzuschütteln vermag. Immerhin steht das Mädchen doch für all die von der Inquisition verübten Verbrechen dieser spanischen Epoche.

Die „Rückkehr“ von Inés bringt zugleich die Rückkehr von Lorenzo mit sich, der, nachdem er von der Kirche wegen der strappado-Affäre entlassen wurde, nun mit den französischen Revolutionären heimkehrt. Hier schwingt er sich zum Richter über die ehemaligen „Richter“ der Kirche auf, belehrt und propagiert wie eh und je. Und wenn es ausgerechnet Lorenzo ist, der verkündet “there will be no liberty for the enemies of liberty“, dann hat dies schon etwas Zynisches. Nun ist er es, der den Konvertierten gibt, aber der Strafende bleibt. Dabei ist Lorenzo für Carrière jedoch kein Bösewicht, “he really wants the world to get better“.

Und damals wie heute hat er durch Inés seinen Ruf zu verlieren, was sie wiederum zur Leidtragenden macht. Ohnehin sind im Prinzip alle Figuren in Goya’s Ghosts Leidtragende, teils ihres eigenen Verhaltens, teils des der Anderen. Lorenzo scheitert daran, seine eigenen Wünsche nicht mit seiner Umwelt vereinbaren zu können, Goya dagegen, dass er sich zu einem Zeitpunkt distanzierte, wo Nähe weitaus effektiver gewesen wäre, als später. Und hinsichtlich der Tatsache, dass die Spanische Inquisition mit über 300 Jahren keine Einrichtung von gestern war, hätte auch Inés wachsamer sein können, als in der Öffentlichkeit Zweifel zu erregen.

Wo Formans Film im Falle von Goya zumindest subtil auch Biografie ist (und sich damit in eine Reihe zu seinen semibiografischen The Man on the Moon, The People vs. Larry Flynt und Amadeus gesellt) und Inés Geschichte durch und durch zur Tragödie avanciert, beschreibt die Episode um Lorenzo historische Verwicklungen. Von der Spanischen Inquisition bis zur Aufklärung und den Napoleonischen Kriegen. Infolgedessen hat der Film schon beinahe etwas Episodenartiges, was ihn somit bisweilen etwas überladen ausfallen lässt. Gleichzeitig Biografie, Tragödie und Historienfilm zu sein, gereicht Goya’s Ghosts folglich nicht immer zum Vorteil.

Dennoch gelingt es Forman in seiner Summe seine ganzen Themen überzeugend miteinander zu verweben. Ein weiteres, allumfassendes Thema ist dabei die Frage nach der Wahrheit. “Tell me what the truth is“, erbittet Inés während ihrer Folterung um die gewünschte Antwort. In den Mittelpunkt rückt hier stets die subjektive Wahrheit, genauso wenn Goyas akkurates Porträt der Königin (Blanca Portillo) auf Missfallen stößt und er aus diesem Fehler umgehend lernt, wenn er das grausige Violinenspiel von König Karl IV. (Randy Quaid) mit Lob bedeckt. Die Wahrheit, so macht uns der Film klar, liegt immer in der Beurteilung von dem, der sie hören will.

Zugleich verkneift es sich Forman auch nicht, Parallelen zu den USA aufzuzeigen. Die Kryptojuden von damals sind die Guantánamo-Insassen von heute – was wahr und gerecht ist, verschwimmt zwischen Folter und Chauvinismus. Als derart vielsagendes soziokulturelles Werk, abgerundet durch seine opulente Optik an Ausstattung, Kostümen und Maske sowie den überzeugenden (Skarsgård), eindrucksvollen (Bardem) und fast brillanten (Portman) Darstellerleistungen fällt Goya’s Ghosts somit überaus gelungen aus. “I didn’t expect this kind of Spanish Inquisition”, heißt es in einem von Monty Pythons populärsten Sketchen. Aber wer tut das schon?

8/10

16. Juni 2007

Heroes - Volume One (Genesis)

Together we could actually make a difference.

Der Wunsch danach, besonders, anders, speziell zu sein, dürfte wohl meist den Menschen innewohnen, die sich sozial gesehen ohnehin als Außenseiter fühlen, jedoch an ihrer Machtlosigkeit verzweifeln. „Do you ever get the feeling like you were meant to do something extraordinary?”, ist daher in vielen Fällen eine Frage, die sich in Comics diejenigen stellen, die aus ihrem eintönigen und unbedeutenden Leben auszubrechen wünschen. Die Schreibtischhengste oder Uhrmacher nicht minder wie der Politikersohn, der stets müde belächelt und außen vor gelassen wurde. Es sind die sozialen Verlierer, die Peter Parkers dieser Gesellschaft, denen es nach Bestimmung verlangt. Eine Bestimmung, die sie - zumindest im Comicgenre - in den meisten Fällen nur durch Superkräfte erlangen.

TV-Produzent Tim Kring widmete sich 2006 in seiner Drama-Serie Heroes jenen ziellosen Menschen, denen es oblag, durch mutierte DNS zu Rettern der Welt zu avancieren. Dabei bediente sich Kring freizügig beim reichen Schatz an Comic-Helden insbesondere des Marvel- und DC-Universums. So folgt Heroes nicht nur inhaltlich seinen Vorgängern wie Alan Moores Mutter aller Comics, Watchmen, sondern natürlich auch in seiner Prämisse. „Every hero must learn his purpose“, heißt es an einer Stelle in einer Umwandlung von „With great power comes great responsibility“ aus Spider-Man. Für die Protagonisten von Heroes sind ihre Superkräfte nicht so sehr Last, sondern vielmehr eine Gabe. Allerdings nicht für jeden sogleich eine Gabe, zum Helden aufzusteigen und die Welt zu retten.

Ähnlich wie Lost orientiert sich Heroes zuvorderst an seinen Charakteren, von denen es gleich über ein Dutzend gibt, damit das Publikum je nach Laune sich seine Favoriten herauspicken kann. Das zentrale Trio der Serie sind dabei der japanische Büroangestellte Hiro Nakamura (Masi Oka), der New Yorker Krankenpfleger Peter Petrelli (Milo Ventimiglia) und der soziopathische Serienmörder Sylar (Zachary Quinto). Von allen Figuren sind sie es, die sich besonders ihren Kräften verpflichtet fühlen. Was Hiro, Peter und Sylar eint, ist die Tatsache, dass sie in den Augen ihrer Eltern Versager sind. So gibt Sylar gegenüber seiner Mutter sogar vor, mehr zu sein, als ein Uhrmacher, da dies nicht gut genug scheint. Für sie sind ihre Kräfte eine Möglichkeit, aus ihrem tristen Leben auszubrechen.

Für Hiro wiederum ist seine Gabe, das Raum-Zeit-Kontinuum zu beeinflussen, der finale Anreiz, ein Held zu werden. Dies trifft nicht nur auf ihn zu, sondern auch auf andere enthusiastische Figuren wie den jungen Micah (Noah Gray-Cabey), der einer ganzen Familie von „Mutanten“ entstammt. Dementsprechend fallen Phrasen wie “I’m gonna be a hero”, “We could be heroes” und “I finally get to be a hero” des Öfteren in Heroes und verleihen dem Serientitel ein stetes Echo. Bezeichnend ist hierbei, dass das Heldensein mit Superkräften gleichgesetzt wird, man also nur Held sein kann, wenn man über Superkräfte verfügt. Dabei zeigen mit Noah Bennet (Jack Coleman) und Mohinder Suresh (Sendhil Ramamurthy) auch zwei Menschen, wie wichtig sie sein können.

Die Letztgenannten repräsentieren zugleich die unterschiedlichen Kräfte von außen, die auf die Helden der Geschichte einprasseln. Der indische Genetiker Suresh setzt die Forschungen seines Vaters fort, der auf die „Mutanten“ stieß und die Entdeckung mit seinem Leben bezahlte. Für ihn gilt es, die Kandidaten für Mutationen ausfindig zu machen, sie zu katalogisieren, um bei Bedarf ein Gegenmittel zu erstellen. Dadurch wird Suresh für Sylar interessant, dessen Mordlust dadurch gespeist wird, dass er die Fähigkeiten seiner Opfer adaptiert. Gegensätzlich dazu tritt Noah Bennet als Mitglied einer ganz klassisch verdeckt arbeitenden Firma, die die Mutanten ebenfalls - wenn auch sehr viel konsequenter als Suresh - untersuchen und, wenn nötig, wegsperren oder ausschalten.

Für alle Beteiligten, Mensch wie „Mutant“, wird Sylars aus den Rudern laufende Mordserie zur Gefahr. Bei einer seiner unkontrollierten Zeitreisen landet Hiro einige Wochen in der Zukunft und stellt fest, dass halb New York durch eine Bombe zerstört wird. Zugleich wird Peter von einer zukünftigen Version Hiros besucht und mit dem kryptischen Auftrag „Save the Cheerleader, Save the World“ versehen. Mit Hilfe des präkognitiven Malers Isaac Mendez (Santiago Cabrera), der wie Peter in Simone (Tawny Cypress) dieselbe Frau liebt, wird die betreffende Cheerleaderin schließlich als Claire Bennet (Hayden Panettiere), Tochter von Noah Bennet, identifiziert. Die Kreise aller „Mutanten“ ziehen sich eher zusammen, eine deterministische Komponente scheint sie alle miteinander zu verbinden.

Ergänzungsfiguren sind unter anderem der telepathische Polizist Matt Parkman (Greg Grunberg), Micahs von Persönlichkeitsstörungen geplagte Mutter Niki (Ali Larter), Peters für den Kongress kandidierender Bruder Nathan (Adrian Pasdar) und der erst im dritten Akt mit einem Gesicht versehene „Kingpin“ der ersten Staffel, Las Vegas Mobster Linderman (Malcolm McDowell). Während speziell der Handlungsstrang von Niki und Micah sowie die Erlebnisse von Claire weitestgehend für sich alleine laufen, konzentrieren sich die anderen Figuren darauf, entweder Sylar oder die Explosion in New York (für die Peter verantwortlich sein soll) aufzuhalten. In Sonderfolgen wie Six Months Ago, Company Man und Five Years Gone blickt die Show zudem in vergangene und zukünftige Ereignisse.

Durch „Mutanten“ mit präkognitiven Kräften oder Zeitreisefähigkeiten spielt Heroes gekonnt mit Fragen von Determinismus, Schicksal und freiem Willen. So müssen die Bilder von Isaac, dem Orakel von Delphi gleich, nicht immer das bedeuten, was in ihnen zu sehen ist. In Six Months Ago versucht dagegen Hiro das Leben der Kellnerin Charlie (Jayma Mays) zu retten, die von Sylar getötet wurde, ironischerweise jedoch ohnehin an einem tödlichen Gehirnaneurysma leidet. Während sich manche Figuren in ihr angeblich vorherbestimmtes Schicksal ergeben, versuchen andere sich dagegen aufzulehnen (allen voran Hiro und dies Staffelübergreifend). Besonders amüsant wird es, wenn wie in Five Years Gone angedeutet zwar Manches abgewendet wird, Anderes dagegen nicht.

Dass Heroes eine Serie insbesondere von und für Comic-Fans ist, steht außer Zweifel. Von inhaltlichen Anleihen bei Meisterwerken wie Watchmen (speziell in der Folge .07 %) bis hin zu den offensichtlichen (aber unausweichlichen) Referenzen der Superkräfte, vor allem zu X-Men. So ist Claire das Pendant zu Wolverine, D.L. zu Kitty Pryde, Hiro und der Haitianer (Jimmy Jean-Louis) wiederum haben ähnliche Kräfte wie Kurt Wagner und Professor X. Eine besonders interessante Konstellation ergibt sich dadurch, dass Sylar mit seiner Ansammlung von Kräften und Peter, dessen Fähigkeit darin besteht, die von anderen „Mutanten“ nachzuahmen, sich quasi auf einem kräftemäßigen Level zueinander befinden, was ihre Motivation angeht, aber unterschiedlicher nicht sein könnten.

In der durchweg konstanten starken ersten Staffel ragen dabei die Folgen Unexpected, mit einem Cameo von Stan Lee, und das Staffelfinale How to Stop an Exploding Man heraus, wobei Letztere in ihrem raschen Finale - die finale Konfrontation von Peter und Sylar wird in wenigen Sekunden abgehakt - etwas enttäuscht und sich eine bessere Wertung verbaut. Dennoch gefällt die Debütstaffel von Heroes durch ihre Stringenz und durch ihr gelungenes und überzeugendes Casting (auch wenn lediglich Larter sich schauspielerisch auszeichnen kann). Am Ende ist die erste Staffel vielleicht die eine oder andere Episode zu lang - Epsioden wie The Fix hätte man sich zum Beispiel sparen können -, dennoch summa summarum sehenswert und dem Thema entsprechend: extraordinary.

8/10

13. Juni 2007

Brick

You better be sure you wanna know what you wanna know.

Der hardboiled detective hat im angloamerikanischen Roman Noir eine archetypische Funktion inne, mit seinem zynischen Weltbild und seinen eigenen, nicht immer gesetzeskonformen Idealen. Bekannte Vertreter sind Raymond Chandlers Philip Marlowe sowie Dashiell Hammetts Sam Spade, beide bezeichnenderweise von Humphrey Bogart in The Big Sleep und The Maltese Falcon dargestellt. Speziell Hammett war es dann, der mit seinen Romanen einen bleibenden Eindruck auf den jungen Regisseur Rian Johnson gemacht hat. Inspiriert von der Noir-Welt Hammetts konzipierte Johnson für seinen Debütfilm seine eigene Kriminalgeschichte: Brick. Das Ungewöhnliche an Johnsons Geschichte ist: Sie spielt in einer High School.

Die Funktion des Ermittlers übernimmt der Außenseiter Brendan (Joseph Gordon-Levitt), dessen Ex, Emily (Emilie de Ravin), sich mit dem lokalen Drogenboss The Pin (Lukas Haas) einlässt und dies schließlich mit ihrem Leben bezahlt. Sukzessive versucht Brendan die Zusammenhänge aufzuschlüsseln, unterstützt vom Schulhof-Schlaubi The Brain (Matthew O’Leary), Insider-Starlet Kara (Meagan Good) und der Femme fatale Laura (Nora Zehetner). Worin hatte sich Emily verstrickt? Und welche Rollen spielten dabei ihr Junkie-Lover Dode (Noah Segan) und Tug (Noah Fleiss), das physische Yin zu dem psychischen Yang des Pins? Brendan dringt tiefer in die lokale Drogenszene ein und macht sich bald selbst verdächtig.

Weil er nicht einfach nur die Welt von Hammett imitieren wollte, kam Johnson die Idee, seinen Neo Noir an einer Schule anzusiedeln. Die Prämisse war so originell, dass sie bezeichnenderweise bei den Studios in Hollywood auf Ablehnung stieß. Daher tat Johnson, was vor ihm schon andere Filmdebütanten taten – er lieh sich das Produktionsbudget bei Freunden und Familie. Für weniger als eine halbe Millionen Dollar inszenierte er Brick letztlich an seiner eigenen ehemaligen High School im kalifornischen San Clemente. Der Lohn war das fast neunfache Einspiel der Kosten, Auszeichnungen in Sundance (2005) und beim deutschen Fantasy Filmfest (2006), sowie der rasch gewonnene Status als Kultfilm.

Mit ein Hauptgrund hierfür dürfte schlicht die Prämisse des Films gewesen sein, an einer High School eine Noir-Geschichte zu erzählen. Johnson spart Klassenraumszenen aus, lässt Brick vielmehr nach der Schule oder in Freistunden spielen. Der Schulhof ist zumeist verlassen, wüsste man es nicht besser, man würde die Filmhandlung in die Ferien verorten. Das wahre Leben in Brick spielt sich in Hinterräumen ab. Im Keller des Pin, in einer sturmfreien Oberschichtsvilla, zwischen den Stühlen der Theater AG. Gekonnt und zielsicher bewegt sich der vermeintliche Außenseiter und Loner Brendan zwischen diesen Plätzen hin und her – und damit auch zwischen den sozialen Schichten und Hierarchien seines Schulkosmos.

Zugleich wartet der Film jedoch mit einer durchaus seriösen Behandlung seines Kriminalfalls auf, ist damit keineswegs ein Mordkomplott im Gewand eines quietschig-infantilen American Pie, sondern vielmehr ein auf dem Schulhof stattfindender Chinatown. Die Schule ist hier ihre eigene kleine Welt, zu der auch der Konrektor (Richard Roundtree) keinen Zugang hat, auch wenn er im brickschen Kosmos die Funktion des Gesetzes übernimmt. Konsequent bedarf es für die Auflösung des Falls daher Brendan, der weiß, wo und wie er die Aufmerksamkeit derjenigen Personen auf sich zieht, die er für notwendig hält. Auch die übrigen Figuren partizipieren an diesem „Gesellschaftssystem“ und doch auch wieder nicht.

Jeder Charakter hat seine eigene Agenda, von Brendan über Tug bis hin zu Laura. Dabei nutzt Johnson den Titelgebenden Brick, ein Stück Heroin mit tragischer Verkettung, nicht so sehr als MacGuffin wie auch das Mysterium des Plots zweitrangig ist. Selbst für Brendan geht es nicht darum, den Mörder seiner Ex zu finden, sondern das große Ganze dahinter aufzudecken. Der Weg ist somit das Ziel und Johnson offenbart sich als so unterhaltsamer wie zuverlässiger Führer. Denn Brick funktioniert nur, wenn seine Neo-Noir-Atmosphäre funktioniert. Wenn wir seine Figuren ernst nehmen und die gezeigte Welt als Gegebenheit akzeptieren. Auch wenn dies bisweilen nicht einfach fällt, aufgrund der komischen Momente.

Denn für wirklich voll mag man Figuren wie Tug nicht nehmen, wie auch der Pin dank Mutti-bringt-Plätzchen-Szenen, sowie theatralischen Umhang und Hobbit-Verweise eher als Witzfigur, denn Drogenboss anmutet. Durchaus mit einem Augenzwinkern serviert Johnson also seine hardboiled high school story, die dennoch weitestgehend zu gefallen weiß. Nicht zuletzt dank seiner Darsteller Joseph Gordon-Levitt und Nora Zehetner, die glaubhaft die beiden interessantesten Figuren mit der faszinierendsten Dynamik verkörpern. Für ein selbstfinanziertes Independent-Projekt kann sich Brick also allemal sehen lassen. Letztlich ist seine Schul-Noir-Geschichte weniger ungewöhnlich als einfach ungewöhnlich gut.

8.5/10

10. Juni 2007

Syriana

This is a fight to the death.

Selten lässt sich über einen Hollywood-Film sagen, dass er intelligent ist. Und sicherlich darf darüber gestritten werden, ob Kino nicht zum Abschalten dienen soll nach einem harten Arbeitstag. Anstatt die Köpfe mit geopolitischen Ränkespielen zum Rauchen zu bringen. Wozu stumpfes „Glotzen“ verkommen kann, hat Bernward Wember vor drei Jahrzehnten mit seiner Bild-Text-Schere zu warnen versucht. Umso verdienstvoller gerät also Syriana, der Polit-Thriller von Stephen Gaghan (Traffic). Sicherlich auch dank seiner hochkarätigen Besetzung mit George Clooney und Matt Damon gelang es dem Film in den USA sogar seine Kosten wieder einzuspielen. Was angesichts seiner Thematik durchaus erstaunt.

Denn gut drei Jahre nach dem Ende des Irakkriegs übt Gaghan ganz unsubtil an der Politik seiner Heimat, die Strukturen im Mittleren Osten nach ihrem Gusto umzumodellieren. Als Episodenfilm lässt Syriana hierbei vier Handlungsstränge parallel und bisweilen auch zusammenlaufen. Im Zentrum steht dabei ein fiktives Emirat im persischen Golf, das über Erdöl verfügt und in dem sich ein Machtwechsel anbahnt. Auf der einen Seite steht Prinz Nasir (Alexander Siddig), der progressive Sohn des Emirs, der den Fortschritt seines Landes zum Ziel hat und sich hierbei vom Energie-Analytiker Bryan Woodman (Matt Damon) beraten lässt, nachdem dessen Sohn bei einer Privatfeier von Nasirs Vater unglücklich zu Tode kam.

Auf der anderen Seite steht Nasirs jüngerer Bruder Meshal (Akbar Kurthaas), den eher Luxusgüter als Politik interessieren. Weil Nasir Bohrungsrechte an die Chinesen vergeben will, zieht er sich den Zorn der US-Lobby auf sich. Der Fernost-Agent Bob Barnes (George Clooney) soll das Nasir-Problem aus der Welt schaffen, während in der Heimat der Anwalt Bennett Holiday (Jeffrey Wright) versucht, die Fusion des Öl-Unternehmens Connex Oil mit Jimmy Popes (Chris Cox) Firma Killen durch potentielle Korruptionsvorwürfe zu schiffen. Die Entscheidung von Connex wiederum, eine Ölraffinerie im Mittleren Osten lahmzulegen, hat für pakistanische Arbeitsmigranten wie Wasim (Mazhar Munir) Folgen.

Gaghans Film ist bevölkert von dutzenden Figuren und jede von ihnen hat ihr eigenes Päckchen zu schultern. Da ist Julie Woodman (Amanda Peet), die den Tod ihres Sohnes betrauert und plötzlich auch ihren Mann zu verlieren scheint, der in den Reuebekundungen des Emirats die Chance auf eine historische Wende und zugleich privaten Reichtum für seine Firma sieht. Und außerdem Danny Dalton (Tim Blake Nelson), ein korrupter Lobbyist, dessen Vergangenheit die Fusion von Conney und Killen gefährden könnte, was nicht zuletzt der verantwortlichen Anwaltskanzlei von Dean Whiting (Christopher Plummer) ein Dorn im Auge wäre, die so wie alle amerikanischen Figuren ein Stück vom Kuchen haben will.

Fortan bewegt sich Syriana wie ein politischer Strom. Von Teheran wandern wir nach Washington, von dort nach Genf über Marbella bis nach Beirut. Die Protagonisten sind global player, Vermittler zwischen dem Öl im Osten und den Interessenten im Westen. Und alles dazwischen verkommt zu Kollateralschaden. Der tote Sohn avanciert zum subversiven Druckmittel, eine an Ägypter verkaufte Rakete wird zum Stolperstein für einen aufmerksamen CIA-Agenten. In dieser geopolitischen und von ökonomisch-industriellen Werten geprägten Welt kommt derjenige weiter, der zuerst an sich denkt. Und dadurch lebt er auch länger, wie Außendienst-Agent Barnes später im Libanon feststellten muss.

Adaptieren ist das Schlagwort für die Figuren. So ist der Auftragskiller Mussawi (Mark Strong) inzwischen zu den Iranern übergewandert (“This is a war!“), wie sich auch Barnes’ Vorgesetzte (u.a. Tom McCarthy) stets danach richten, wo aktuell der Wind herweht. Ähnlich verhält es sich für Bennett Holiday, der zwar sympathische Züge trägt, letztlich jedoch zu merken scheint, dass man als Hai im Fischbecken sicherer schwimmt (“Our real client, is, after all, us, the American people“). Zur Säule der Loyalität und Stimme der Räson verkommt da - neben Amanda Peets Gattin – lediglich Alexander Siddigs Prinz, der schon allein aufgrund seiner Progression zum Scheitern verurteilt scheint. Und das ist die Tragik.

Wenn man so will, liefert Syriana den (oberflächlichen) Hintergrund für den Irakkrieg, für all die politischen Tumulte im arabischen Raum. Die USA wollen Öl, die Arbeiter im Persischen Golf wollen Jobs und jeder will mehr Macht und Geld. Als Folge drohen Mord und Totschlag, Terror, Folter und Tragödien. Ein Intrigenspiel, bei dem Gutmenschentum nicht belohnt, sondern bestraft wird. Denn der Kampf um das Öl hat begonnen. “It’s running out. And ninety percent of what’s left is in the Middle East”, erklärt Woodman einem (ver-)zweifelnden Prinzen. “This is a fight to the death.” Und als solchen inszeniert Gaghan seinen Film auch – allerdings mit amerikanischen Figuren in der Rolle als Bösewichter und Henker.

Dass Syriana derart überzeugend ausfällt, verdankt sich nicht nur seinem komplexen und informationslastigen Drehbuch, sondern auch dem Ensemble, das seine Figuren zum Leben erweckt. Zwar wurde lediglich Clooney für einen Oscar nominiert (den er auch gewann), aber die Damons, Peets, Siddigs und Co. müssen sich nicht hinter ihm verstecken. Gaghan gelingt es, uns einen Plot zu servieren, der konventionell genug ist, damit wir ihm folgen, und smart genug, damit wir von ihm möglicherweise sogar noch etwas lernen. Oder um sich der Szene zwischen Holiday und dem Justizministerium zu bedienen: “I used to think there’s something wrong here. Now I know there’s something wrong here”.

8/10

9. Juni 2007

Blood Diamond

T.I.A. - This is Africa

Nach Japan hat es Regisseur Edward Zwick dieses Mal nach Afrika verschlagen, wo er die Geschichte des Diamentenschmugglers Danny Archer und die Suche des Vaters Solomon Vandy (Djimon Hounsou) nach seinem Sohn erzählt. Zwick ist ja ein Mann des Effektkinos, in welchem er mit viel Aufwand heroische Geschichten erzählt. Das kennen wir aus Glory oder Last Samurai und machen wir uns nichts vor, Zwick kann solche Geschichten auch imposant auf die Leinwand bannen. Nur zwei Filme hatten mich dieses Jahr bisher im Kino noch mehr beeindruckt als Blood Diamond, und eigentlich hatte ich erwartet, durch die DVD-Sichtung in meiner ursprünglichen Wertung etwas zurückstecken zu müssen.

Zwick will sein Experiment des Mainstream- und Geschichtskinos nicht so ganz gelingen. Hier und da ein paar Kameraeinstellungen von der Armut oder der Gewalt Afrikas - das ist zu wenig, um einen von der eigentlichen Geschichte um Danny Archer (Leonardo DiCaprio) loszueisen und dann doch auch wieder zu viel, da man unnötig von der Handlung ablenkt. Blood Diamond soll eine fiktive Geschichte innerhalb einer wahren Geschichte sein. Blutdiamanten und Kindersoldaten, Tagesordnung in Afrika, aber entweder erzählt man einen Handlungsstrang explizit über diese Themen oder man lässt es. Eine Geschichte zu erfinden, die innerhalb dieses Kosmos stattfindet und sich dann dieses bedienen will reicht nicht aus.

Da sehen wir Solomon's Sohn Dia, wie er zusammen mit den anderen Kindern genötigt wird, Menschen zu erschießen, Drogen verabreicht bekommt und einen möglichst bedrohlichen Namen wie Master of Desaster erhält. Dazu kommt Maddy Bowen (Jennifer Connelly), die als Journalistin über jene Blutdiamanten schreibt, aber Archer dafür kritisiert, dass er Solomon benutzt, um an einen von diesen ranzukommen. In Blood Diamond benutzt aber jeder jeden. Solomon will seinen Sohn wiederhaben und benutzt dafür Ex-Söldner Archer, der wiederum von Solomon den Blutdiamanten haben möchte. Dafür braucht Archer aber die Hilfe von Maddy, die von Archer eine Exklusivstory über die Blutdiamanten erhält.

Die Schmuckindustrie, das sind die bösen Buben. Commander Poison, welcher Dia zum Kindersoldaten ausbildet, sagt in einer Szene so schön: “I’m a devil, but only because I live in hell”. Für diese Hölle sind dann die Menschen im Westen verantwortlich, die wie Archer es sagt, die Diamanten haben möchten. Wir wollen den Schmuck, wollen die Diamanten. Und irgendwo müssen sie ja herkommen und irgendeiner muss sie einem ja beschaffen. So ist das Leben, so traurig das klingt. In einem anderen Gespräch meint Archer, dass Gott schon lange fort ist, denn wie könne er sonst diese ganze Gewalt und diesen ganzen Hass zulassen. Die Theodizee-Frage, die wohl nie jemand zufriedenstellend beantworten wird.

Und wenn Zwick den Film mit einem quasi Happy End abschließt, löst er sich auch hier von der Realität, bleibt den Menschen in Afrika doch ein solches verwehrt. Das Schöne an Blood Diamond ist jedoch, dass Zwick eine aus heutiger Sicht altmodische Erzählweise für seinen Film verwendet, die mit einer Liebesgeschichte ohne Sexszene oder sonstigem Schnickschnack auskommt und DiCaprio mit einer Bogartmässigen Figur glänzen lässt. Sowieso sind die darstellerischen Leistungen über jeden Zweifel erhaben, angeführt von DiCaprio in der Rolle seines Lebensnd.Am Ende lässt sich sagen, dass Blood Diamond nichts von seiner Kraft der Kino-Sichtung eingebüßt hat, weshalb deren Wertung Bestand hat.

8/10

24. Mai 2007

A Scanner Darkly

Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,
Die eine will sich von der andern trennen:
Die eine hält, in derber Liebeslust,
Sich an die Welt mit klammernden Organen;
(A Scanner Darkly, S. 256; Faust I, S. 39)

Romanverfilmungen sind immer so eine Sache, meistens gelingen sie nicht allzu gut, oft gelingen sie gar nicht. Eine der Ausnahmen für mich ist z.B. The Fellowship of the Ring, wo Jackson im Gegensatz zu den Fortsetzungen noch gute Arbeit geleistet hat. Richard Linklater hat sich bei A Scanner Darkly wohl eine der höchsten Meßlatten heraus gesucht, die es gibt: Philip K. Dick. Dick gehört zu meinen Lieblingsautoren und ist ohne Zweifel einer der genialsten Autoren des 20. Jahrhunderts. Das Problem ist, dass Dick's Romane sehr futuristisch sind und zudem sehr komplexe mindfucks. Dies lässt sich m. E. filmisch nicht umsetzen, bzw. nicht genug umsetzen, um Dick zu entsprechen. Und wenn man es nicht schafft dem Roman zu entsprechen, sollte man ihn auch nicht verfilmen.

Linklater erzählt in seiner bereits in Waking Life verwendeten Technik des Rotoskop-Verfahrens, wo reale Bilder am Computer übermalt werden, die Geschichte des Undercover-Polizisten Bob Arctor (Keanu Reeves), welcher seine Junkie Freunde Donna (Winona Ryder), Luckman (Woody Harrelson) und Charles Freck (Rory Cochrane) ausspionieren soll, während ein weiterer Freund von ihm, Jim Barris (Robert Downey Jr.), ihn bei seinem Chef anschwärzt. Das Rotoskop-Verfahren ist auch gewöhnungsbedürftig, bei Waking Life fand ich es noch ganz passend, in A Scanner Darkly hat es mitunter gestört. Man würde meinen, dass auf diese Weise dargestellte "unreale" Bilder besser zu Dick's Story passen, jedoch verschwimmt die Handlung dadurch viel zu sehr, weswegen es besser gewesen wäre, die geschossenen Bilder nicht auch noch zu übermalen und wenn, dann nur in einzelnen Szenen.

Fehlbesetzt ist der Film dazu auch noch. Rory Cochrane besonders und Woody Harrelson zum Teil betreiben nerviges overacting, während Winona Ryder und Keanu Reeves unmotiviert und gelangweilt wirken, vielleicht sind sie auch einfach nur überfordert. Donna und Arctor sind die beiden komplexesten Figuren in A Scanner Darkly und Linlater wäre gut beraten gewesen, Charakterdarsteller für diese Rollen zu besetzen. Spontan fielen mir für Ryder's Figur Juliette Lewis und Marisa Tomei ein, welche Donna mehr Leben eingehaucht hätten, bei Arctor wären wohl Johnny Depp oder Jim Carrey die bessere Wahl gewesen. Der einzige der in seiner Darstellung überzeugt, ist Robert Downey Jr., welcher der Figur des egozentrischen und paranoiden Barris sehr gerecht wird.

Ein Thema zieht sich durch alle Geschichten von Dick: die fortschreitende Technologisierung. Oft sind auch Drogen ein zentrales Thema seiner Arbeiten, neben A Scanner Darkly insbesonders The Three Stigmata of Palmer Eldritch. Das lässt sich aus Dick's Zeitverständnis herleiten, schrieb er seine Arbeiten während der 60er und 70er Jahre, in der Zeit von Drogenfesten und Kaltem Krieg. Dabei ist A Scanner Darkly sein persönlichstes Werk, trägt es doch semiautobiographische Züge und Dick brach es nach eigener Aussage das Herz, als er das Buch schrieb, beschreibt er darin schließlich seine eigene Kommune, seine eigenen Freunde. Philip K. Dick "war" Bob Arctor und hat selber die meisten seiner Freunde an Drogen verloren.

Das zentrale Thema des Romans verkackt Linklater im wahrsten Sinne des Wortes im Film, nämlich was Drogen bei Menschen angerichtet haben und immer noch anrichten. Wie Fred am Ende nicht mehr zwischen Fred und Bob unterscheiden kann, geht im Film völlig verloren. Dick selber schrieb in einem Nachwort zu A Scanner Darkly: "Drogenmißbrauch ist keine Krankheit, sondern eine Entscheidung, vergleichbar mit der Entscheidung, vor einem heranrasenden Wagen hinaus auf die Fahrbahn zu treten". Diese Botschaft geht im Film verloren, weil Linklater nur die (tragisch) lustigen Szenen des Romans zusammenbastelt, damit der Zuschauer unterhalten wird. Dick's Romane lassen sich einfach nicht gebührend verfilmen, am gelungensten ist da wohl noch Blade Runner. Linklater verhebt sich bei seinem Verusch aber eindeutig und Lee Tamahori's Next, das ebenfalls auf einer von Dick's Kurzgeschichten basiert, ist wie John Woo's Paycheck auch gefloppt. Hollywood sollte endlich lernen, dass man die Finger von Dick zu lassen hat.

5.5/10

22. Mai 2007

The Fountain

Together we will live forever.

Gegen Ende des letzten Jahrhunderts fand in Hollywood eine Revolution der unabhängigen und innovativen Filmemacher statt. David Fincher kratzte 1999 mit Fight Club an dem Konzept der Heldenidentität, die Wachowskis brachen mit The Matrix im selben Jahr in neue Science-Fiction Welten vor, Spike Jonze sprengte mit Being John Malkovich die Regeln des linearen Erzählens und Darren Aronofsky schickte das Publikum im Jahr 2000 mit seinem Indie-Hit Requiem for a Dream auf eine Bilderachterbahn mit über 3.000 Schnitten, großartiger Musik und einer fabelhaften Geschichte nach dem Roman von Hubert Selby. Der Film tauchte auf über 150 Top Ten-Listen auf und verschaffte ihm einen grandiosen Ruf, der bereits durch sein Debüt π von 1998 Nahrung erhalten hatte. Wie so viele Arthouse-Regisseure wollten die Studios auch Aronofsky für einen Blockbuster gewinnen und boten ihm an, Frank Millers Batman: Year One zu verfilmen. Das Projekt kam jedoch nie zu Stande, da sich Warner Bros. gegen eine von Aronofsky intendierte Mitarbeit Millers verwehrte. Fünf Jahre später sollte sich dies bei Sin City ändern, Batman dagegen wanderte mit Christopher Nolan zu einem anderen Indie-Regisseur.

Aronofsky wollte dennoch einen Sci-Fi-Film drehen, der mit den bisherigen Konventionen brach und ähnlich wie Star Wars, 2001: A Space Odyssey und The Matrix in neue Regionen stieß. Ein Jahr nach Requiem for a Dream stieg er mit Warner Bros. Pictures in Verhandlungen zu The Fountain ein, für das ein Budget von 70 Millionen Dollar veranschlagt wurde und für das Brad Pitt in der Hauptrolle vorgesehen war. Pitt selber wurde, ebenso wie die für die weibliche Hauptrolle angedachte Cate Blanchett, durch ein Screening von Requiem for a Dream gewonnen. Die Planungen begannen und für 20 Millionen Dollar wurde in Australien ein Set gebaut. Im Frühsommer 2002, sieben Wochen vor Drehstart, verließ Pitt dann nach Differenzen mit Aronofsky bezüglich des Drehbuchs das Projekt ab. Die Vorproduktion wurde eingestellt, das Set bei einer Aktion verkauft und Blanchett entschädigt. Doch Aronofsky ließ The Fountain nicht ruhen und nahm die Verhandlungen zwei Jahre später erneut auf. Für die Hälfte des zuvor veranschlagten Budgets wurde der Film nun mit Hugh Jackman und Aronofskys damaliger Lebensgefährtin Rachel Weisz in den Rollen angegangen und kam schließlich nach sechs Jahren endlich in die Kinos.

In der Gegenwart versucht Neurowissenschaftler Tommy (Hugh Jackman) an Rhesusaffen eine Heilung gegen Hirntumore zu finden, um seine eigene Frau, die Autorin Izzie (Rachel Weisz), von ihrer eigenen Krebsdiagnose zu befreien. Während eine erfolglose Operation der nächsten folgt, verschlechtern sich Izzies Symptome zusehends. Derweil schreibt sie, von der Milchstrasse fasziniert, eine Historiennovelle über das frühneuzeitliche Maya-Volk. Im Jahr 1500 wird der spanische Conquistador Tomas (Hugh Jackman) von der spanischen Königin Isabella (Rachel Weisz) ausgesandt, um den Baum des Lebens zu finden, damit die von der Heiligen Inquisition als Häretikerin gebrandmarkte Königin nicht sterben muss. In einem Maya-Tempel erreicht Tomas letztlich dann sein Ziel. Mit einer Esche macht sich derweil im Jahr 2500 der Astronaut Tom (Hugh Jackman) auf den Weg in einen Nebel innerhalb der Milchstrasse, wo er Xibalba vermutet. Die Unterwelt der Maya, in welcher der Legende nach die Seelen der Verstorbenen wiedergeboren werden sollen. Diese drei ineinander verschachtelten Handlungsstränge werden am Ende letztlich auf einen gemeinsamen, sie zusammenführenden, Nenner gebracht.

Entsprechend der narrativen Vorlage – und seiner visuellen Konzeption – ist der Vorwurf, The Fountain könne prätentiös geraten, naheliegend. So kam Aronofskys dritter Spielfilm beispielsweise bei den Redakteuren des Spiegels gar nicht gut an. Von Birgit Glombitza wurde der Film mit den Worten „nervig“, „anmaßend“, „Kitsch“ und „Hokuspokus“ bedacht, ihr Kollege Daniel Sander kam zu dem Schluss, es handele sei ein „zur Katastrophe mutierter Kunstfilm“. Nun stimme ich selten mit den Kino-Rezensenten des Spiegels überein und in diesem Fall schon gar nicht. The Fountain ist weder nervig oder anmaßend noch kitschig oder Hokuspokus. Die Äußerung von Sander dagegen lässt erahnen, dass man es hier wohl mit einem Vertreter des Männerkinos zu tun hat, der vermutlich bei müden shot-for-shot-Remakes wie The Departed besser aufgehoben ist. Denn The Fountain ist ein Kunstfilm und somit zu einem gewissen Grad durchaus prätentiös. Und das muss er auch sein. Wenn schon bezahlte Kritiker dem Film keine Liebe entgegen bringen, muss diese ihm zumindest inhärent sein. Dabei kann man Aronofskys Werk durchaus belanglos, langatmig oder uninteressant finden, dem großen Ganzen kann man sich nicht verschließen. Was er für 40 Millionen Dollar hier auf die Leinwand bannt, sucht in der Filmgeschichte seinesgleichen.

Die übergeordnete Thematik von The Fountain ist der Tod und die Angst der Menschen davor, diesen zu akzeptieren. Insbesonders wenn Liebe mit im Spiel ist. Tommy will Izzie nicht verlieren und verbringt seine gesamte Freizeit im Labor, um eine Heilung gegen ihren Krebs zu finden. Immer wieder spielt Aronofsky dabei einen Moment ab, in welchem Izzie ihn dazu verleiten will, gemeinsam mit ihr den ersten Schnee zu sehen. Die Zeit, die bleibt, miteinander zu verbringen. Doch er wimmelte sie ab, arbeitet lieber an einer Heilung, damit ihnen mehr Zeit bleibt. Es ist bittere Ironie, dass Tommy jene Heilung später findet, dies für Izzie allerdings bereits zu spät ist. Tommy steht hierbei symbolisch für die gegenwärtige Menschheit, die ihren Gott in der Wissenschaft gefunden glaubt. Für Tommy ist der Tod nur eine Krankheit, die man wie jede andere auch heilen und sich vor ihr schützten kann. Dieser Glauben wird erschüttert, als er schließlich an Izzies Grab steht und lediglich ein “there is no hope, only death“ hervorpresst. Mit dem Tod will er sich nicht abfinden, ihn nicht als das finale Ende akzeptieren und Izzies Worten, dass die Mayas den Tod als einen Akt der Erschaffung ansahen, schenkt er wenig Beachtung.

In der Zukunft scheint Tom(my) selbst seine biologische Uhr abgeschaltet zu haben und reist mit einer Esche, in der er Izzies Seele glaubt, in einem seifenblasenartigen Gebilde zu jenem sterbenden Stern, in welchem die Maya ihre Unterwelt Xibalba vermuteten. Dabei wird er immer wieder von jenem Moment verfolgt, in dem er sich nicht Zeit für Izzie nahm. Schließlich schreibt er ihre Geschichte des spanischen Conquistadors Tomas zu Ende, als er dieses auch für sich akzeptiert. Dessen Verständnis vom ewigen Leben wird auf eine harte Probe gestellt und Aranofsky schlägt eine inhaltliche Brücke über ein ganzes Jahrtausend hinweg. Ohne Frage ist The Fountain von einem spirituellen Verständnis durchzogen, das jedoch nicht nur von christlicher Natur ist. Denn der Baum des Lebens findet sich in verschiedenen Kulturen wieder, wie in Yggdrasil aus der nordischen Mythologie. Es geht Aronofsky nicht um religiösen Glauben, sondern um Glauben per se. Was den Menschen menschlich macht, ist für Aronofsky die Tatsache, dass er stirbt. Es ist mehr ein menschliches als ein religiöses Verständnis, dass nach dem Tod noch etwas folgt. Dass der Körper nur ein Gefängnis für unsere Seelen ist, wie es im Film heißt.

Das bedeutet jedoch keineswegs, dass die Zuschauer durch The Fountain zur Religion hingeführt oder zum Glauben gebracht werden sollen. Der Film behandelt lediglich den Tod des Menschen und dessen sich im Zwiespalt befindende Akzeptanz jener Tatsache, die er nicht ändern kann, nicht einmal durch die Wunder der Wissenschaft. Aronofsky schuf dabei eine bildgewaltige Oper, in der die Galaxie durch Aufnahmen chemischer Reaktionen ersetzt wurde und dennoch glaubhafter aussieht, als in den meisten Science-Fiction-Filmen aus Hollywood. Der stete Wechsel zwischen den Zeitebenen gelingt dabei nahtlos, nicht zuletzt auch dank der einfallsreichen Repetition verschiedener Bildmotive und Symbole. Unterstützt wird diese Bilderflut zudem vom großartigen Soundtrack Clint Mansells, der sich speziell im Finale selbst zu übertreffen scheint. Ähnlich wie 2001: A Space Odyssey dürfte Aronofskys Film der Rezeption seiner Zeit voraus sein, veranschaulicht an den beiden Redakteuren des Spiegel. Und so kann man The Fountain sicher übertriebene Prätention, Religiosität oder Spiritualität unterstellen – wie eigentlich fast jedem Film, der je gedreht wurde – oder man kann ihn ganz einfach nur genießen.

9/10

14. Mai 2007

Funny Games

Sie dürfen den Unterhaltungswert nicht vergessen.

Meine Fernsehzeitung bezeichnete Michael Haneke's Werk von 1997 mit dem Satz "Achtung, spielt mit den Sehgewohnheiten und ist sehr hart", ein Bloggerkollege beschrieb mir den Film als mindfuck - mehr musste ich nicht wissen und schon war das Teil aufgenommen und gestern Abend zu Gemüte geführt worden. Vorab will ich schon mal sagen, dass ich den Film nicht zu hart fand. Jedenfalls von seiner Gewalt. Und generell auch nicht. Hart ist das falsche Wort. Oder ich bin einfach nur "abgehärtet".

Ich will nicht lange versuchen auf mein Fazit zu kommen, sondern erarbeite lieber aus meinen Fazit heraus weiter: Funny Games ist ein klasse Film. Mehr als Klasse, das Drehbuch sucht seinesgleichen. Hab seit Memento glaube ich nicht mehr solch ein gutes Thriller-Drehbuch gesehen. Hier stimmt alles, jede Handlung, jeder Dialog, alles am richtigen Platz. Da hat sich Haneke selbst übertroffen. Zwei junge Männer, die wahl- und motivlos eine dreiköpfige Familie quälen, dabei aber immer höflich, ruhig und sachlich bleiben und sich brav für alles bedanken, was sie bekommen.

Nach der ersten Stunde war ich total aus dem Häuschen und war bereit dem Film die volle Punktzahl zu geben. Als Haneke aber nach dem ersten Showdown die Kamera fünf Minuten auf der selben Szene lässt, in welcher nichts passiert und nur zwei Sätze geredet werden, wurde meine Geduld ein wenig übertrapaziert und ich war froh als Paul und Peter wieder im Haus waren. Die darstellerischen Leistungen von allen Beteiligten sind top, die von Arno Frisch (Paul) überragt jedoch alle. Mit seinem österreichischen Akzent und seiner kurzen Hose, dazu das Lächeln. Richtig toll.

Das Konzept von Funny Games ist aber dabei im Grunde das, was mir beim Film so gefallen hat. Am Anfang fragt Georg Paul noch, warum die beiden jungen Kerle all das tun, worauf Paul nur entgegnet "Warum nicht?". Dies wird im Laufe des Filmes und besonders am Ende erklärt, bzw. deutlich. Was der Zuschauer in Funny Games sieht, ist (nur) ein Film. So sehe ich das zumindest. Funny Games ist ein Film, den man sicher immer wieder sehen kann, um ihn zu entschlüsseln. Meine Interpretation ist, mich auf das Gespräch der beiden am Ende berufend, dass Paul und Peter echt sind, real, während die Familie Fiktion ist.

Paul durchbricht mehrfach die Vierte Wand, zwinkert dem Zuschauer zu, spricht ihn an, seine Gefühle ("Sie sind doch auf ihrer Seite, oder?"), handelt nach den Gesetzen des Thrillerfilms. Er lässt den Opfern die Möglichkeit zu fliehen, um die Spannung aufrecht zu erhalten und organisiert einen Zeitplan, der eine gesunde (Film)Länge ermöglicht. Das erklärt das viele Essen der beiden, erklärt wieso sie von einem Haus zum nächsten fahren, erklärt wieso Paul den Mord an Peter zurückspulen konnte. Wenn ich weiß, dass alles nur ein Film ist, kann ich als Protagonist die Mauer der Moral durchbrechen und tun und lassen was ich will. Auch Gewalt. Insbesondere Gewalt. Wäre die Szene um die 80. Minute nicht gewesen...naja, wie gesagt, vielleicht verzeihe ich sie Haneke schon beim zweiten sehen, bzw. bei seinem Remake.

9/10

11. Mai 2007

Tenkū no Shiro Rapyuta [Das Schloss im Himmel]

The earth speaks to all of us, and if we listen, we can understand.

Seine Vorstellungskraft und Bildgewaltigkeit kennt kaum Grenzen. Miyazaki Hayao ist fraglos Walt Disneys einzig wahrer Erbe als Vater des berührenden Zeichentrickfilms und dem Status seines Animationsstudios Ghibli als Meisterwerksschmiede macht nur Pixar Konkurrenz. Wen wundert es also, dass auch Tenkū no Shiro Rapyuta (aka Das Schloss im Himmel) als erster offizieller Ghibli ein kleines Meisterwerk ist. Eins, das bei uns erst spät in den Kinos lief. Nicht unähnlich wie ein Lied des hawaiianischen Künstlers Israel Kamakawiwo’ole, das 17 Jahre nach seiner Aufzeichnung – und 13 Jahre nach dem Tod des Künstlers – in Deutschland die Single-Charts stürmte.

Einen ähnlichen Triumphzug vermochte Tenkū no Shiro Rapyuta im Jahr 2006 allerdings nicht anzutreten, als der erste Film des Studio Ghibli fast genau 20 Jahre nach seiner Premiere in unseren Kinos startete. Mit seinem ersten Werk unter dem Banner des neu gründeten Studio Ghibli knüpfte Miyazaki-san im Jahr 1986 daran an, was ihn zwei Jahre zuvor mit Kaze no tani no Naushika so erfolgreich gemacht hat. Bildgewaltige Szenerien, sympathische Charaktere, ein ökologischer Subtext sowie ein pompöses Amalgam aus Kinder- und Actionfilm. Und was besonders beeindruckt: Tenkū no Shiro Rapyuta sieht nicht aus, als wäre er bereits zwei Jahrzehnte alt.

Das liegt zwar mit an der durchgängig-zeitlosen Animation von Ghibli, ist aber zugleich auch ein Qualitätsmerkmal. Ausgesprochen detailliert gerät dieser kindliche Abenteuerfilm, der mehrmals in mehrfacher Hinsicht schweres Geschütz auffährt. Wie so oft in Miyazakis Werken verschmelzen die verschiedenen Zeitepochen, wird Gegenwart und Vergangenheit oder Vergangenheit und Zukunft miteinander kontrastiert. Die Welt in Tenkū no Shiro Rapyuta erinnert an das viktorianische Zeitalter, wird jedoch gepaart mit einer Prise Fantasy-Futurismus und Steampunk. Hier treffen Loks auf fliegenden Scooter und Revolver auf unzerstörbare Roboter.

Grundsätzlich erinnert die Szenerie dabei an Großbritannien, wo Miyazaki und seine Zeichner Inspiration aus der walisischen Landschaft zogen. Das mag zwar für uns Abendländer weniger exotisch sein, dafür für die Japaner umso mehr. Aber auch bei uns hinterlassen die an Berghängen gegründeten Städte und die weite Peripherie Eindruck, selbst wenn sich ein Großteil der Handlung weniger zu Land denn in der Luft abspielt. Hier nimmt der Film nach einem bereits turbulenten ersten Akt anschließend richtig Fahrt auf. Im sprichwörtlichen Sinn. Denn Tenkū no Shiro Rapyuta ist ein Kinderfilm, wie man ihn nicht alle Tage – und schon gar nicht von Disney – erlebt.

Hier flirten mehrere Männer ungeniert mit kleinen Mädchen und Erwachsene scheuen sich nicht davor, wiederholt auf Kinder zu schießen. Was undenkbar in der naiv-harmonischen Welt von US-Animationsfilmen ist, trägt bei Miyazaki dazu bei, dass dieser ein spannendes Abenteuer für die Kleinen parat hält und sich für die Großen erwachsener gibt als Genrekollegen. Nicht vergessen werden dabei die Charaktere, von denen besonders die an die Fratellis aus The Goonies erinnernden Luftpiraten rund um Matriarchin Dora sich im Verlauf von den Bösen zu den Guten wandeln und somit jene humane Dualität repräsentieren, die den Werken Miyazakis stets innewohnt.

Getragen wird die Geschichte dabei von der unschuldigen Freundschaft und suggerierten Liebe zweier Kinder, deren Moral und Ethik so rein ist wie ihre Loyalität zueinander. So ist Tenkū no Shiro Rapyuta gerade für sein Produktionsjahr ein fast schon bahnbrechendes Werk, was die Integration von Action und Abenteuer in einem animierten Kinderfilm angeht. Selbst die für das Genre ungewöhnlich lange Laufzeit von zwei Stunden erzeugt keine Längen. Zwar ist der Film nicht ganz so stark wie Miyazakis Vorgänger, dennoch als erster Ghibli ein exzellenter Vertreter für die Ideologie und Qualität des Studios. Auch, wenn das die Deutschen erst 2006 mitbekamen.

8.5/10

4. Mai 2007

Super Size Me

This is the best part of the day, when I get to be fat, on the bed, with my quart of Coke.

Viele Menschen sind keine Fans von Dokumentationen, wahrscheinlich weil nicht wirklich etwas passiert oder in die Luft fliegt, also keine richtige Handlung vorhanden ist. Ich dagegen bin ein Freund von Dokumentationen und schaue sie mir gerne an. Das diese jedoch mit Vorsicht zu genießen sind habe ich neulich erst festgestellt. War bis dato nämlich ein großer Fan von Michael Moore, dessen Filme Roger & Me, Bowling for Columbine und Fahrenheit 9/11 mir sehr gefallen haben, bis die Dokumentarfilmer Debbie Melnyk und Rick Caine (welche ursprünglich eine Lob-Dokumentation über Moore machen wollten) in ihrem Werk Manufacturing Dissent auf die Arbeitsmethoden von Moore hinwiesen, die sich in keinster Weise von denen seiner Gegner unterschieden. Auch zu Morgan Spurlocks Oscarnominiertem Film Super Size Me gibt es andere Meinungen, doch dazu später mehr.

Morgan Spurlock, ein gesunder und fitter New Yorker nimmt sich vor 30 Tage lang dreimal täglich nur bei McDonald's zu essen, um festzustellen, wie sich das auf seine Gesundheit auswirkt. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind ein Land der Superlativen, selbstverständlich auch was das Gewicht angeht. So leben die fettesten Menschen der Welt in den USA. Mehr als 60% der US-Bürger sind fettleibig oder übergewichtig. Ausgelöst wurde Spurlock's Film durch eine Klage zweier übergewichtiger Mädchen, welche McDonald's verklagten, da deren Essen ungesund sei und sie übergewichtig gemacht hätte. Die Klage wurde abgewiesen. Spurlock will aber dennoch feststellen wie ungesund Fast Food tatsächlich ist.

Zu Beginn des Filmes lässt er sich von drei verschiedenen Ärzten durchchecken und von einer Ernährungswissenschaftlerin beraten. Sein Gewicht beträgt 84kg. Dann beginnt er täglich nur noch bei McDonald's zu essen. Der Titel lässt sich auf das amerikanische Super Size Menü zurückführen, wo man zu seinem Burger noch ein halbes Kilo Pommes und ein Liter Limonade bekommt. Bezeichnenderweise braucht Spurlock dann für sein erstes Super Size Menü auch 22 Minuten und muss das Essen abbrechen, als er sich aus dem Autofenster übergibt. Im Laufe seines Fressens wird Spurlock depressiv, wenn er nichts ist und sein Cholesterinwert steigt um 50%, seine Leber macht fast schlapp. Nach 22 Tagen raten ihm die Ärzte aufzuhören, es könnte lebensbedrohlich werden. Er macht weiter und schafft tatsächlich die 30 Tage, an welchen er dann 95kg wiegt und insgesamt 14kg Zucker zu sich genommen hat.

Ich war selber schon mehrmals in den USA und kann nur bestätigen, dass Fast Food dort eine ganz andere Dimension wie hier in Deutschland einnimmt. Geht man in Manhattan morgens um 8 Uhr in eine McDonald's Filiale sieht man haufenweise Anzugträger, die sich ihr Frühstück hier auf dem Weg zur Arbeit abholen. Da verwundert es nicht, dass McDonald's tagtäglich 46 Millionen Kunden weltweit hat (!) und im Zuge dessen jährlich 1,4 Milliarden Dollar für Werbung ausgibt! Wundert man sich da, dass jeder 20. Amerikaner an einem Typ Diabetes leidet oder 400,000 Menschen jährlich an Folgen von Fettleibigkeit sterben? Dass kleine Kinder eher wissen wie Ronald McDonald aussieht, als Jesus? Wenn die Bürger nicht den Bürgereid, dafür aber dern Big Mäc Werbeslogan aufsagen können?

Spurlock prangert in Super Size Me nicht (nur) McDonald's an, sondern die gesamte Fast Food Industrie, bis hin zur Schulkantine, wo nur 6 von 36 Mahlzeiten im Monat tatsächlich gekocht werden. Der Film fängt Meinungen von Ärzten und Ernährungswissenschaftlern ein und versucht das Problem zu lokalisieren. Fast Food macht süchtig und ist ungesund, besonders für Kinder auf die jedoch auch besonders die Werbung abzielt. Ich gebe zu, ich esse wirklich selten Fast Food, vielleicht alle drei Monate mal, eher seltener. Bei mir scheitert das an den Preisen der Burger/Menüs. Allzu hochnäsig dürfen wir aber auch nicht sein, denn Deutschland ist das fetteste Land Europas! In Schweden wurde Spurlock's Experiment von einem Wissenschaftler nachgeahmt und dieser kam bei 18 Studenten nicht auf ähnlich hohe Cholesterinwerte, wobei meiner Ansicht nach solche Dinge auch abweichen können. Ich halte Super Size Me für einen sehr wichtigen Film, den sich jeder - egal ob fett oder nicht - ansehen sollte. Wenige Monate nachdem der Film rauskam, setzte McDonald's im übrigen das Super Size Menü ab. Zufall?

8/10